linux-l: [Fwd: immer wieder :-)] und gleich nochmal

Robert C. Helling helling at aei-potsdam.mpg.de
Di Nov 14 17:38:59 CET 2000


On Tue, 14 Nov 2000, Bernd Classen wrote:

Hallo Liste,

nun will ich doch mal meinen Senf dazu geben. In der Sache stimme ich Dir
natuerlich voll zu, allerdings denke ich, dass dieser Brief noch Defizite
aufweist.

> >  1. In den letzten Jahren hat sich freie Software außerordentlich dynamisch
> >     entwickelt.  Die Zuwachsraten beim Einsatz und bei der Verfügbarkeit
> >     von freien Softwarelösungen ist exponentiell.

Das ist Vaporware und sagt nichts aus.

> >  2. Das Bundesinnenministerium spricht sich unter anderem im KBSt-Brief
> >     2/2000 (http://linux.kbst.bund.de/02-2000) für die Verwendung
> >     von "Open Source Software in der Bundesverwaltung" aus.  Zahlreiche
> >     andere Dokumente könnten für diesen Fakt herangezogen werden.

Das sagt nur was ueber open source. Hier geht es aber primaer um
_Patente_. Du musst zumindest gleich am Anfang den Zusammenhang deutlicher
machen.

> >  3. Derzeit liegt das Kostenverhältnis von
> >          Hardware : Software-Lizens-Kosten : Service/Support/Wartung
> >     etwa bei
> >              10   :         100            :    1000
> >     Da freie Software hinsichtlich Service/Support/Wartung deutliche
> >     Vorteile gegenüber proprietärer Software aufweist, kann mit freier
> >     Software in diesem Bereich deutlich mehr Profit erzielt werden.

Kannst Du diesen Punkt wirklich belegen? Was sind das fuer geratene
Zahlen, wie setzen dies TCO zusammen? Was soll das mit dem Profit?

> >     Beleg dafür sind zum Beispiel die Verkaufszahlen der Suse-Distribution
> >     (http://www.linuxplanet.com/linuxplanet/reviews/2394/4/)

Nein, das ist kein Beleg. MS setzt mit nicht freier Software viel mehr um.

> >  4. Ich sehe die dynamische Weiterentwicklung von freier Software durch
> >     die Patentierbarkeit von Algorithmen und Software stark behindert.
> >     Entwickler freier Software brauchen Rechtssicherheit.  Es ist nicht
> >     akzeptabel, daß Entwickler ihre wertvolle, produktive Zeit damit
> >     verbringen, in Patentakten zu recherchieren, ob der entwickelte
> >     oder zu entwickelnde Algorithmus geschützt ist.  Eine solche
> >     Verschwendung von Arbeitszeit ist ineffizient und unprofitabel für
> >     den Auftraggeber / Distributor.

Anfang gut, dann aber der arme OS Prgrammierer, der sich nicht ums
Patentrecht kuemmern will. Das beeindruckt keinen Politiker. Auch der
Schrauber, der eine tolle neue Maschine erfunden hat, muss sich um's
Patentrecht kuemmern.

> >  5. Hierbei ist zu bedenken, daß ein nicht unerheblicher Teil von
> >     Entwicklern von Firmen bezahlt wird.  Beispielsweise wird die
> >     Entwicklung des weit verbreiteten Web-Servers Apache von IBM
> >     unterstützt.  Damit sind auch die auftraggebenden Firmen an der
> >     möglichst effektiven Arbeit der Entwickler interessiert.  Würde
> >     der Entwicklung von freier Software durch Softwarepatente ein
> >     rechtlicher Stein in den Weg gelegt, so würden die auf diese
> >     Weise geschaffenen Arbeitsplätze verloren gehen.

Argumentation unklar. Fuer IBM waere es doch kurzfristig besser, wenn sie
ein Patent auf HTTP-Browser haetten.

> >  6. Natürlich werden durch die Patentierung für Juristen Arbeitsplätze
> >     geschaffen.  Man sollte sich aber fragen, ob die Arbeitskraft jener
> >     Juristen nicht auch zum Nutzen freier Software eingesetzt werden kann,
> >     denn zahlreiche freie Softwareprojekte (insbesondere medizinische
> >     Software) benötigen Hilfe in juristischen Fragen.  Insofern halte
> >     ich die durch die Patentierung in Aussicht stehenden Arbeitsplätze
> >     für destruktiv gegenüber einer dynamischen Softwareentwicklung.
> >     Die Vernichtung konstruktiver potentieller Arbeitskräfte würde damit
> >     billigend in Kauf genommen.

Das beeindruckt auch niemanden. Da kommen einem leider eher die Traenen.


> >  7. Freie Reimplementierungen von Algorithmen sind nicht selten besser
> >     (hinsichtlich der Performance oder Sicherheit) als deren Originale.
> >     Durch die Patentierung des Originals würde eine solche
> >     Reimplementierung verhindert.  Auch in dieser Hinsicht halte ich
> >     die Patentierung von Software für bedenklich.

Das ist der erste wirklich gute Punkt!

IMHO sollte sich die Argumentation entlang folgender Linie bewegen:

Was spricht fuer Patente? Ein Patent schuetzt jemanden, der in Entwicklung
investiert hat davor, dass jemand, der nicht den gleichen
Entwicklungsaufwand hatte, kommt, die Ergebnisse mitbenutzt und dadurch
einen solchen Wettbewerbsvorteil bekommt, dass es sich am Ende fuer
niemanden mehr lohnt zu entwickeln.

Gegen Patente spricht, dass der Besitzer eines Patentes eben darauf sitzen
kann und die weitere Entwicklung ausbremsen kann. Oder er kann ein auf
einen Teil beschraenktes Patent dazu benutzen, ein Monopol auszubauen. ZB
haetten die Besitzer des Patents von LSZ versuchen koennen, den gesamten
Markt fuer Grafikprogramme zu dominieren, da alles doch irgendwie GIF
haben moechte.

Ausserdem kann jeder Garagenbesitzer kommen, und jedes fertige Produkt
nehmen und seine privaten Verbesserungen anbringen und es dann
weiterverbreiten.

Ausserdem birgt ein Patentrecht immer die Gefahr, dass Leute es schaffen,
etwas selbstverstaendliches zu patentieren (siehe die Diskussion um
1-click Bestellung bei amazon.com, das schoenste Argument dagegen fand ich
immer die Idee, das Hoserunterlassen vor dem Pinkeln zu patentieren und
auf allen Pissoirs der Welt Lizenzgebuehren zu erheben).

Die Frage, um die es am Ende gehen wird, ist einfach: Welchess Szenario
nutzt volkswirtschaftlich mehr? Ersteres, weil sich sonst Innovation nicht
mehr bezahlt macht oder letzteres, weil so von einer viel breiteren Masse
entwickelt wird?

Und jetzt erst kommt OS: Hier sieht man, dass gerade trotz fehlender
Patentierungsmoeglichkeiten im Softwarebereich es trotzdem unglaubliche
Innovationschuebe in den letzten Jahren gegeben hat. Es gibt also trotzdem
einen Anreiz zum Entwickeln. Es ist halt nur so, dass sich Qualitaet
durchsetzt, was am Ende dem Verbraucher zugute kommt und keine
kuenstlichen juristischen Schranken aufgebaut werden.

Ich will noch mal einen Punkt deutlich machen: Ich rede hier nicht von dem
kleinen Hobbyprogrammierer (wie ich zB einer bin), der am Abend immer mal
so ein paar Zeilen Code zusammen haut. Der ist ziemlich egal. Aber es geht
hier immernoch um big business. Und auch diese Leute haben ein Recht auf
ihr Geld, solange sie es sich wirklich verdient haben. Jeder ist frei,
Software mit der Lizenz seiner Wahl zu vertreiben. Mir ist vielelicht die
eine lieber als die andere, aber letzten Endes ist es mir egal. Ich muss
sie ja nicht benutzen, ich kann ja zur freien Konkurrenz gehen oder, wenn
ich es wirklich brauche, es mir selber stricken.

Daher zweifle ich auch hier gar nicht an, dass das Copyright, wie es
bisher schon auf Software angewandt wird, abgeschafft werden soll! Ich
will ja auch nicht, dass jemand mein GNU Programm nimmt, seinen Namen
drauf schreibt oder besser noch meinen und dann aber eine unbrauchbare
Version vertreibt, die mir am Ende schadet. Dieses Recht will ich
behalten.

Aber wenn jemandem meine Lizenz nicht passt, kann er sich ja hinsetzen und
sich ein Programm mit gleicher Funktionalitaet selber machen oder besser
noch: MIt besserer. Und es dann auch vertreiben. Und ich kann
ueberhauptnix dagegen tun. Nur wenn ich ein Patent haette, koennte ich ihm
das verbieten. Und das darf eben nicht sein. Dann gibt es Stillstand.

Fazit: Es gibt genuegend Gegenbeweise dafuer, dass niemand in Entwicklung
ohne Patente investieren wuerde, und die Nachteile von Patenten liegen auf
der Hand.

Viele Gruesse
Robert

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Robert C. Helling        Institut fuer Physik
                         Humboldt-Universitaet zu Berlin
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