[linux-l] Voyeurismus und kulinarische Installationsparty

dietmar.bremser at it-rust.de dietmar.bremser at it-rust.de
Mo Apr 21 16:21:43 CEST 2003


Liebe Leute,
ich möchte mich doch mal kurz in diese Debatte einklinken.

  >Man zielt auf den Enduser, der bisher bei MS war und nun im Linux-Hype
  >mitsegelt.

Das stimmt nicht ganz.
Grundsätzlich habt Ihr zwar mit dieser Haltung recht, und ich vertrete
auch die Position, dass SuSE vor allem den Neueinsteigern die
Möglichkeit gibt, das Werkzeug Linux zu erlernen.
Vor allem um bei der allerersten Installation ein lauffähiges System zu
erstellen.

Die restlichen Tätigkeiten, und damit möchte ich widersprechen, hängen
von der ''geistigen Beweglichkeit'' des Nutzers ab, also von seinem
Willen auch mal hinter die Kulissen zu schauen.
Ich möchte nicht behaupten, dass ich eine Art Missionierungswahn hätte,
aber Freunde, die Interesse an Linux zeigen, bekommen von mir einen
gewissen Druck und Tips, durch die offene Tür ins ''Linux-Wunderland''
einzutreten.
Aber immer mit der Warnung, dass:
- frei nicht kostenlos bedeutet, also zumindest einen Einsatz an Zeit
und Gehirn erfordert und
- man sich Linux nicht mal eben anschaut

Kürzlich habe ich einem Freund die trivialste Möglichkeit einer
''Linux-Kurzbesichtigung'' angeboten, eine der ''vielgeliebten''
Live-Evals (SuSE 7.2).
Aussage von ihm: "habe nichts verstanden und xy fand das auch nicht
gut.''

Was das Beispiel sagt?
Auch SuSE wird keinen Windows-Benutzer zum Wechsel bewegen können, ohne
den geringsten Einsatz an Hirnleistung und Begeisterungsfähigkeit durch
den Benutzer vorauszusetzen.

Es sind dann eher die Eigenschaften des Benutzers, die sich dann
interessanterweise auch immer in bestimmten Präferenzen bei der Wahl und

der Benutzung des Betriebssystemes ausdrücken.

Ich möchte aber noch einen Aspekt einbringen, der hier wahrscheinlich
untergehen wird.
Für die Anwendung von Linux im betrieblichen Umfeld ist die Existenz von

SuSE, RedHat oder jetzt UnitedLinux nicht von der Hand zu weisen.
Und zwar in der Form, dass für die Anwendung und Wartung des
Betriebssystemes ein Ansprechpartner seitens des Software-Produzenten
vorhanden sein muss.
Also für den Fall, dass man entweder keinen erfahrenen Administrator
oder einen ratlosen Administrator hat.
Soll ja auch Betriebe geben, die gern zu Linux wechseln würden, aber
weder die Zeit noch das Geld haben, sich mit bestimmten Fragestellungen
des Betriebssystemes herumzuschlagen.
(Ob M$ als Ansprechpartner diese Probleme hinreichend lösen kann, ist
eine Dilbert-Frage, hier genügt der Anschein der Problemkösungskompetenz
und der Ansprechbarkeit).
Und wenn man auf die Ausbildung von Administratoren schaut, bietet
Microsoft durch eine einheitliche Zertifizierung auch hier den Anschein
von Problemlösungskompetenz.
Die sich im Linux-Lager noch nicht ganz durchgesetzt hat.
Will heissen, dass der gute und richtige Linux-Ansatz ein einheitliches
und - im Gegensatz zu M$ - lebenslang gültiges Zertifikat wie den LPI
anzubieten, größtenteils völlig unbekannt ist. Und dass Distributoren
wie RedHat da lieber ihr eigenes Süppchen kochen.

Insofern sehe ich bei Linux - trotz der vielen Pros - auch Contra, was
sicher auch in der realen Praxis der Software-Entwicklung für Linux
verwurzelt ist, nämlich der Dezentralisierung und der Software-Projekte
und der losen Bindung der meisten Entwickler.

Ich möchte mit diesen Gedanken keine Lanze für M$ brechen, sondern nur

Gedanken aufwerfen.

  >Die Unterschiede zwischen den großen, bunten Linux-Dists und MS sind
  >imho heutzutage nur noch vier: (1) es gibt für Windows wesentlich mehr
  >Anwendungen,

Jein.
a) Niemand wird sich ein komplettes Win-System nur aus Open-Source bauen
können, das scheitert nämlich schon am Betriebssystemkern :)
b) war es bis vor einiger Zeit noch so, dass es bestimmte
Linux-Applikationen für Win nicht gab, bis die Portierungswelle
einsetzte
c) wird ein Win-Nutzer für die Lösung seiner Probleme vorrangig auf
M$-Produkte oder Produkte anderer etablierter und häufig kommerzieller
Anbieter zurückgreifen, gleichgültig, ob diese von der
Open-Source-Gemeinde portiert wurden oder nicht (ich meine hier zum
Beispiel das TeX-Satzsystem/GhostScript in Konkurrenz zum Bündel
Office/Acrobat)

Und wenn man sich den Punkt c) noch einmal anschaut, entdeckt man genau
hier die Schnittstelle, die Begehrlichkeiten wecken kann.
Also den Wechsel zu Linux.

  >(2) Windows ist in Sachen GUI um einiges performanter (wer es
  >nicht glaubt, kann ja mal 98 SE auf einem 200MHz-32MB-PC installieren
  >und anschließend auf derselben Maschine KDE oder Gnome),

Diesem Vergleich muss ich widersprechen.
Er erinnert mich an die Autotests, in denen ein deutsches Fabrikat mit
einem 2,3-Liter-Motor mit 130 PS gegen ein ausländisches Fabrikat mit
einem 2,0-Liter-Motor mit 115 PS bei gleichem Gewicht verglichen wird,
um dann die Zugschwäche, wahlweise die Endgeschwimdigkeit, des
ausländischen Fabrikates zu bemängeln.

Wenn man in Bezug auf die graphischen Oberflächen derartige Vergleiche
ziehen wollte, dann wäre Windows NT 3.51 gegen Linux mit KDE sehr viel
sinnvoller.
Weil Maigrhsowd ;) nämlich im Gegensatz zu den anderen Win-Versionen bei

NT 3.51 den Client-Server-Ansatz verfolgte oder für ganz Gewitzte, den
Ansatz, MacOS zu kopieren.
Das heisst, dass die gesamte grafische Umgebung, also das was hier als
GUI bezeichnet wurde, nämlich in dem Bereich der Benutzerebene gelegt
hat. Das GUI wurde dort nicht im privilegierten Modus des Kernels
abgewickelt, sondern nur als Programm mit eingeschränkten Rechten,
also wie beispielsweise Office-Anwendungen.
Das hatte aber zur Folge, dass das System nicht nur langsam sondern auch
instabil war. Das hat einfach damit zu tun, dass ein Programm im
Benutzermodus mit einem Programm im Kernel-Modus über einen
Remote-Procedure-Call (RPC) kommuniziert, was langsamer ist als ein
Local-Procedure-Call (LPC).
(Die Darstellung ist nicht ganz vollständig, aber im Groben akzeptabel.)


Eine Folge dessen war es, dass M$ seitdem die gesamten Routinen für die
grafische Oberfläche des Betriebssystemes in den Kernel-Bereich legte,
so dass die Komunikation nun zu einem LPC wurde, also einer
Kommunikation von Programmen in einer Ebene.
Das erklärt auch, warum sich der Internetz-Exploder bei einer
Aktualisierung so gern in das Betriebssystem eingräbt und warum
Sicherheitslecks des Exploders sich gleich fundamental in der
Systemsicherheit niederschlagen.

Und diesen Ansatz verfolgt Linux aber nicht.
Der X-Server ist nur ein Benutzerprogramm (nicht Kernel), der die
Kommunikation zwischen der Hardware für die Grafikverarbeitung sowie
ihren Modulen im Kern(el) auf der einen Seite und der grafischen
Oberfläche auf der anderen Seite übernimmt, also ein RPC.

Fehlt nur noch der obligatorische Satz, dass Unix/Linux im Gegensatz zu
Win bei der Entwicklung nicht den Fokus auf eine graphische
Benutzeroberfläche hatte, sondern auf die reine Verwaltung der
Ressourcen.

Ich hoffe, das war eine verständliche, wenn auch nicht ausreichende
Erklärung, die ich hier aber gern einwerfen wollte.
Musste mich ja lang genug damit beschäftigen ;)

Wen derartige Fragen interessieren, der sollte sich mal im Netz
umschauen.
Einerseits gibt es an der LMU München ein wunderbares Skript über die
Struktur von Betriebssysten (Fachbereich Technische Informatik III):
< http://www.nm.informatik.uni-muenchen.de/Vorlesungen/ss99/bs/bs.ps.gz
>.
Und von Silberschatz gibt es ein Buch zu den Prinzipien der
Betriebssysteme ("Operating System Concepts", für die auch gut
verständliche Folien verfügbar sind: <
http://cs-www.cs.yale.edu/homes/avi/os-book/osc/index.html >.

Übrigens gibt's ja auch andere Fensterverwalter wie XFCE, FVWM2 und
Portierungen der Windows-Oberfläche ;)

  >(4) Windows unterstützt viel mehr, aktuellere und exotischere Hardware
  >(und das auch noch problemloser) und

Das stimmt auch nicht ganz.
Entweder kommt der Treiber von M$ und ist damit von Hause aus Müll;
schließlich kann sich wahrscheinlich jeder daran erinnern, einen
M$-Treiber gegen einen anderen ausgetauscht zu haben.
Oder er kommt vom Anbieter als ''CD-Bundle'' selber oder wurde wie bei
XP gleich in das System integriert.

Bei Linux kommt der Treiber entweder auch vom Hardware-Hersteller oder
von einem ''Volontär'', der einen Hardware-Hersteller vergeblich um
Hilfe gebeten hat ;)

  >(4) man _kann_ aus Linux ein absolut stabiles System machen, weil
Linux
  >im Gegensatz zu Windows die nötigen Eingriffsmöglichkeiten bietet.

Jein.
Aber wenn ich dazu was sage, lande ich wahrscheinlich völlig in der
Win-Ecke ;).

Und überhaupt:
Nur ein toter Rechner ist ein guter und sicherer Rechner ;)

  >(4) ist aber eben nur dann ein Vorteil, wenn man sich eingehend genug
  >mit Linux befasst. Sofern man das nicht will oder kann, halte ich
  >persönlich (abgesehen von allen MS-Feindlichkeiten, aller
  >Monopolpolitik etc.) Windows für den Endanwender noch lange Zeit für
  >die bessere Wahl.

Hmmm, also WinXP hat meine Antipathie schon ''registriert''.
Jedes mal, wenn ich bei Freunden vor einem WinXP-Rechner sitze, stürzt
er einfach ab oder zermatscht die Festplatte ... im Ernst.
Die nutzen jetzt alle Linux :)
Aber ich fange an zu schwatzen, deshalb ...


LOeee,

D:




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