[linux-l] von der Natur der Informatik (was: das user-net ist tot (OT))

[Axel Weiß]

Frank Reker schrieb:
> Thomas.Hinsberger at t-online.de disse:
> Die Frage bleibt, ob sich die Informatik als Wissenschaft einem
> der klassischen Bereiche zuordenen laesst oder nicht.
8<---
> Bleiben die Natur-, Ingineur- und Hilfswissenschaften. Die
> Naturwissenchaften untersuchen in der Natur vorkommende Phaenomene.
> Die klassisschen Faecher hier sind Astronomie, Physik, Chemie und
> die Biologie. Wenn man mal von einigen Randbereichen (wie die
> Gehirnforschung), in denen Kenntnisse der Informatik Anwendung
> finden, absieht, faellt es schwer die Informatik als Naturwissen-
> schaft zu bezeichnen.

Nein. Wir sind uns doch einig, daß die Physik eine Naturwissenschaft ist. Im 
selben Maße ist es die Informatik auch, denn:

o was die Physik als Wissenschaft qualifiziert, ist die Modellbildung über 
Phänomene (der 'realen' Welt. Die Modelle z.B. der Quantenmechanik haben mit 
der Natur nicht mehr viel zu tun, weil sie nur in bestimmten Skalen definiert 
sind, die der natürlichen Empfindung nicht zugänglich sind).

o was die Physik als *Natur*-Wissenschaft auszeichnet, ist die Tatsache, daß 
ihre Modelle konkrete Auswirkungen auf die Natur haben (Elektrizität, 
Kernkraft, Tschernobyl).

o was die Informatik als Wissenschaft auszeichnet, ist die Modellbildung über 
Phänomene (der Information. Die Modelle z.B. von Sprachen haben mit der Natur 
nicht mehr viel zu tun, weil sie nur in bestimmten Kontexten definiert sind, 
die der natürlichen Empfindung nicht zugänglich sind).

o und was die Informatik als *Natur*-Wissenschaft auszeichnet, ist die 
Tatsache, daß ihre Modelle konkrete Auswirkungen auf die Natur haben 
(Kommunikation, Globalisierung, Internet).

Informatik ist eine Naturwissenschaft.

> Aber auch was diese Randbereiche angeht,
> finden hier nur Kenntnisse der Informatik Anwendung. Die
> Gehirnforschung z.B. ist *kein* Teilbereich der Informatik.
> Von daher hat die Informatik hier eher den Charakter einer
> Hilfswissenschaft.
> Die Ingineurwissenschaften machen sich die Erkenntnisse der
> Naturwissenschaften zu nutze, und untersuchen inwieweit diese
> Kenntnisse technisch umsetzbar sind. Das Problem der Informatik
> hier ist, dass keine Naturwissenschaftlichen Erkenntnisse in
> Technik umgesetzt werden, sondern Erkenntnisse aus dem Bereich
> der "theoretischen Informatik" oder der Mathematik. Trotzdem
> bestehen viele Parallelen zu den klassischen Ingineurwissen-
> schaften, weshalb die Informatik auch in den meisten Laendern
> diesen zugeordnet wird, z.B. englisch Informatiker = "software
> engineer".

Informatiker = computer scientist

> Die Hilfswissensschaften untersuchen Techniken und Methoden,
> die von anderen Bereichen wieder genutzt werden koennen. Die
> klassische Hilfswissenschaft ist die Mathematik. Mathematische
> Methoden werden sowohl in der Naturwissenschaft als auch in den
> Ingineurwissenchaften (sowie anderen Bereichen) angewandt.

In der Informatik etwa nicht?

> Aber auch die Informatik weisst Hilfswissenschaftliche
> Charakterzuege auf. Informatik ist u.a. die Wissenschaft
> Algorithmen zu entwickeln. Algorithmen finden in vielen
> Bereichen anwendung. Bereits eine Bedienungsanleitung um einen
> Videorekorder zu programmieren ist ein Algorithmus. Aber
> auch andere Grundlagenerkenntnisse (z.B. Shortest Path
> Problem, Komplexitaetstheorie, ...) finden in anderen Bereichen
> einsatz.
> Fazit: Ich wuerde die "theoretische Informatik" als
> Hilfswissenschaft und die "anwendungsorientierte Informatik" als
> Ingineurwissenschaft kategorisieren.

Das wäre mir zu wenig.

Die theoretische Informatik gehört zur Informatik, wie die theoretische Physik 
zur Physik. Beide bedienen sich der (oder gründen sich auf die) Mathematik, 
damit die Leute über ihre The[ms]en kommunizieren können.

Wenn Du sagst, die Informatik sei eine Hilfswissenschaft, dann sollte das für 
die Physik auch gelten (und ich glaube, damit wären eine Menge Leute nicht 
einverstanden).

Und weil sich die verschiedenen Disziplinen der (Natur)wissenschaften in ihren 
Randgebieten überlappen, ist immer häufiger interdisziplinäres 
Arbeiten/Forschen gefragt.

Gruß,
			Axel

-- 
Humboldt-Universität zu Berlin
Institut für Informatik
Signalverarbeitung und Mustererkennung
Dipl.-Inf. Axel Weiß
Rudower Chaussee 25
12489 Berlin-Adlershof
+49-30-2093-3050
** www.freesp.de **