[linux-l] Vermarkten einer Dokumentensprache (was: Grammar Design)

Volker Grabsch vog at notjusthosting.com
Do Sep 22 12:45:08 CEST 2005


On Mon, Sep 19, 2005 at 09:51:39PM +0200, Oliver Bandel wrote:
> Komm einem Neuling in dieser Hinsicht mit "lerne doch Python" und er sagt,
> daß er sich damit nicht auskennt. Besonders, wenn er Programmieren als
> Wesensfremd zu dem ansieht, was er sonst den ganzen tag über macht.
> Für's klicken halten sich die meisten Leute ja bereits fit genug,
> aber programmieren? "Oh no!"
> OK, aber ich verstehe, was Du meinst. Ich könnte statt meiner eigenen neuen Sprache
> im Hintergrund Python laufen lassen, das hat eine Syntax, die meiner sehr
> ähnlich ist und ich mache mir das Leben einfacher.
> Darf ich dann aber nicht verraten, daß es sich um eine Programmiersprache
> namens Pyhon handelt, sonst sind die Leute wieder abgeschreckt.
> Ist leider so. Manche leute wollen zwar Programme benutzen, aber nicht
> programmieren lernen.

Das ist doch Geschmackssache. Also in erster Linie geht es um eine
Dokumentensprache, und das akzeptieren die Leute doch, oder?

Und diese Dokumentensprache ist zufällig noch scriptbar, d.h. man kann
damit "coole" extra Sachen machen.

Und selbst wenn das schon zu viele negative Assoziationen mit sich
bringt, dann verzichte erstmal auf die exakten Begriffe, bis es die
Leute praktisch ausprobiert haben, und nenne ihnen später die
Fachbegriffe dafür.

Das ist wohl, als dürfte man das Wort Restklassenrechnung nicht in den
Mund nehmen, also erzählt man erstmal über gerade und ungerade Zahlen,
darüber dass man nur die letzte Ziffer betrachtet (um "mod 10" zu
umschrieben), etc.

Ja, ich weiß, dass Fachbegriffe Anfänger abschrecken, aber das hat auch
einen guten Grund. Deshalb ist es besser, ihnen erstmal zu zeigen, was
man hat, sie damit herumspielen lassen, und erst wenn sie eine konkrete
Vorstellung und ein gewisses Verständnis von der Sache haben, kann man
die Fachbegriffe anbringen, sodass sie Begriffe haben für das, was sie
tun. Gibt ihnen nur Begriffe für das, was sie gerade gelernt haben bzw.
was sie gerade tun, und nicht Begriffe für das, was vor ihnen liegt.
So schafft man ein Minimum an Abschreckung. Gib ihnen die Begriffe erst,
wenn sie sie verstanden haben. Ansonsten können sie sich eh nichts
darunter vorstellen, und das führt natürlich zu Abwehrreaktionen.

> Was meinst Du wohl, warum ich in dem Webformular bereits Beispielcode eingegeben habe?
> Damit die Leute erst mal nur klicken brauchen.

Das ist doch was gutes. Außerdem haben sie etwas in der Hand, das sie
abändern können, um zu schauen, was passiert. Didaktisch gesehen ist das
völlig in Ordnung, so würde ich es auch bei nicht-Klickibunti-Leuten
machen. ;-)


> Naja, warum soll ich, wenn ich schon die Arbeit anderer mache,
> das ganze kostenlos zur Verfügung stellen?

Weil's Spaß macht. ;-)

Nee, im Ernst: Um die Leute unter Druck zu setzen. Wenn es z.B. eine
provisorische DTD gibt, dann ist das zumindest ein Anhaltspunkt.
Vielleicht werden sie sich sogar das Maul darüber zerreißen, und deine
DTD an zig stellen korrigieren. Umso besser! Dann kommt wenigstens mal
was Sichtbares zustande. Oder sie werden endlich eine Vorab-Version
ihrer DTD veröffentlichen, oder haben sie das schon? Sowas wäre nämlich
auch mal sehr wichtig.

Ich sage ja nicht, dass du ihnen alle Arbeit abnehmen sollte, aber
einen Ausgangspunkt vielleicht, der zumindest aus technischer Sicht
"sauber" ist. Und der eine funktionierende Implementierung hat, die
z.B. cooles Zeug wie SVG ausspuckt. Nicht, dass deren implementierung
ne Blackbox wird, wo man ein "kopiergeschütztes" PDF-File rauskriegt.

Mach nur soviel, wie du für sinnvoll hältst, wie du es brauchst, und
wie es dir Spaß macht. Aber(!) mach es ordentlich, sauber, halte dich
nah an existierende Lösungen und halte dich an Standards, damit du
Druck in die richtige Richtung ausübst.

> Wenn der Endanwender nicht alles geliefert bekommt, hat das auch den
> Vorteil, daß er evtl. was löhnt, wenn er nicht selbst weiß, wie er
> das Problem lösen soll.

Diese Einstellung könnte schädlich sein, auch geschäftsschädlich. Was
hast du denn zu befürchten? Dass du als Einzelner alle Laban-Probleme
löst, und nix dafür bekommst?

Also, wenn du allein *das* schaffen solltest, kriegst du so viel
Autorität und Ruhm und wird als absoluter Experte angesehen. Gerade
dann könntest du mit Vorträgen oder sonstwas für Zeug ordentlich
Kohle scheffeln.

Aber zurück zur Realität: Labannotation ist ein weites Feld. Selbst
mit allen Möglichkeiten des Textsatzes, die dir der Stand der Technik
liefert, ist das immer noch irre viel Arbeit, vorallem konzeptionielle
Arbeit. Wenn Kunden deine Software nutzen, auch wenn es freie Software
ist, kannst du sicher genug damit verdienen, wenn du dich für das
Implementieren weiterer Features bezahlen lässt.

> Die Leute an der Uni leben davon, die anderen Anwender leben davon,
> und ich schreibe Tools in meiner freien Zeit, unbezahlt, und die
> merits kriegen auch die anderen.

Schreiben die an der Uni eigentlich freie Software? Falls nicht, ist
es ein weiterer Grund für dich! Denn wenn du ihnen wirklich viel Arbeit
abnimmst, sodass sie auf deiner Software aufbauen möchten, werden sie
es sich vielleicht überlegen, ob sie nicht freie Software entwickeln,
um dein Zeug benutzen zu können. Oder sie holen dich mit ins Boot.
Aber wenn die Uni-Mittel eh zu knapp sind, solltest man ihnen IMHO
eher helfen.


> > Dann hast du ein zweites LaTeX
> > nachgebaut, oder ein zweites Lout. Das ist dann das NIH-Syndrom:
> 
> Das kann dann möglicherweise mein Portemonnaie gut gebrauchen.

Du wirst dich totarbeiten. So viel Arbeit, wie du dir aufhalsen würdest,
und die große Gefahr, dass du später nicht mehr durchsehen wirst ...
soviel wird dir der Anwender nie bezahlen, was da wirklich an Arbeit
drinsteckt. Da doch lieber vorhandenes intelligent zusammenstricken,
ein paar Kundenwünsche entgegennehmen, und sich *dafür* bezahlen lassen.
Und wenn sie dich für ein Feature bezahlen, dass du dank LaTeX eh schon
drin ist, und ihnen nur die Syntax verraten müsstest: Umso besser! ;-)

> > Du hättest es gleich als Font oder als LaTeX-Paket implementieren
> > können.
> 
> 1.: Nutzen die Leute das LaTeX eh nicht.
> 2.: Wenn die Software exklusiv ist, kann man die ggf. auch verkaufen.
>     Oder Pay-per-Page.

Na, also zweiteres kannst du sowieso machen. Schon aus Prinzip für die
Leute, die nicht in der Lage sind, sich LaTeX und dein Programm zu
saugen und zu installieren. Quasi als Deppen-Steuer. ;-)

Aber ich sehe da nicht so das Problem. Du kannst ihnen doch die Software
verkaufen, du musst sie ja nicht zum Download anbieten, und dennoch
kann es freie Software bleiben, damit z.B. Unis daran mit werkeln
können, so festigst du den Standard. Vorallem, wenn das Zeug GPL wäre,
und ein Konkurrent klaut dir Code oder macht irgendein mikriges, egal
Detail exakt so wie du, dann kannst du ihn nicht auf Schadenseratz
(also Geld) verklaren, sondern entsprechend der GPL-Bedingungen auf
Offenlegung seines gesamten Codes. Ich persönlich fände sowas viel
lustiger.

Wenn es freie Software ist, kriegst du außerdem mehr Hilfe zum
Programmieren, und hast eine größere User-Basis, also mehr Feedback,
was u.U. wertvoller und zeitersparender sein kann, als ein paar Kröten
extra. Vorallem, wenn es dir hilft, dir einen Namen zu machen.

> Laban ist keine Sprache. Laban war ein Mensch.
> Labanotaion (Laban-Notation) oder in Europa die europäische
> variante heisst Kinetografie Laban.

Danke für dir Info. Werd's mir merken. Ich wusste eben nicht genau, wie
ich das alles nun nennen soll.

> > Mag sein. Aber eine neue Sprache zu schreiben, in die sich die Leute
> > einarbeiten, und die mit den Ansprüchen der Leute wächst, ist ebenfalls
> > dumm.
> 
> Nein.
> 
> Das ist, wie man Leute erst mal an das Thema heranführen kann,
> überhaupt mal was zu tippen, statt immer nur zu klicken.

Gegen dein Konzept mit dem Webinterface habe ich nichts. Das ist eine
sehr gute Idee, IMHO.

Nur die konkrete Sprache, die dadrin verwendet wird, die sollte eben
auf Vorhadenem aufbauen, *das* war meine Kritik.

> Wenn Du manchen leuten sagst, sie sollten ihre texte programmieren,
> steshte plötzlich allein auf weiter Flur.

Naja, "programmieren" ist auch wirklich das falsche Wort. Genau
wie einige sagen, dass die "HTML programmieren". Berechnet mal 1+1 in
HTML. Sicher, man kann PHP oder JavaScript in HTML einbetten, aber HTML
selbst ist eine Dokumentensprache, nix weiter.

LaTeX ist genaugenommen eine Programmiersprache, aber würde ich das
Schreiben eines Briefes in LaTeX plötzlich "programmieren" nennen, wäre
das eine Beleidigung für jeden Programmierer, der über print "Hello
World!" hinausgekommen ist. Die Masse nutzt LaTeX auch nur als
Dokumentensprache, und das ist ja auch richtig so. Nur weil, TeX
auch eine Programmiersprache ist, heißt das nicht, dass man
programmiert, wenn man LaTeX-Code produziert.

Vielleicht solltest du nichtmal von der LaTeX-Seite an die Sache
rangehen, und auch keine Parallelen zu HTML aufzeigen, sondern
eher den Vergleich mit Wikis suchen. Wikis gelten als einfach, und
es macht Spaß, an der Wikipedia mitzuschreiben. Wer das schonmal
gemacht hat, sollte keine Hemmungen haben, eine Dokumentensprache
zu verwenden.

Aber: Die Leute schreiben weiterhin Dokumente, sie programmieren nicht!
Und das sollte man ihnen IMHO auch nicht einreden.

> Man darf den leuten aber nicht sagen, daß sie da eine Programmiersprache lernen,
> denn sonst machen die zu.

Das wäre auch sachlich nicht ganz sauber. Sie lernen eine
Dokumentensprache.

> Das muß dann nicht programmiersprache, sondern
> Programm genannt werden. Und bedeienen tut man es, indem man so komische
> Anweisungen da eintippt.

Bedienen tut man es, indem man Text *eintippt*, statt ihn mit der Maus
zusammenzuklicken.

> Dann sind auch Leute mit Technik-Angst davon zu überzeugen, das zu
> benutzen. ;-)

Das ist sowieso ein Problem.

> TeX/LaTeX sind jedenfalls als Programmiersprachen verschrien

Du musst das ja erstmal nicht dazu sagen, bzw. nur denjenigen, die's
interessiert. Es gibt dennoch, intern, viel zu viele Vorteile gegenüber
einer selbstgestrickten Sprache.

> und viele Leute,
> selbst welche, die wissen schaftlich arbeiten, würden da einen Bogen drum machen.
> "Es war schon schwer genug, Word einigermassen zu beherrschen; dann fange ich nicht
> noch an, eine programmiersprache zu lernen!"

Angenommen, du hättest keine Dokumentensprache, sondern eine
WYSIWYG-Oberfläche. Dann ist das immer noch recht kompliziert
und muss erstmal erlernt werden. Von daher auch hier: Dieses Problem
hast du sowieso.


Viele Grüße,

	Volker

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Volker Grabsch
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