[linux-l] [OT] KDV

Volker Grabsch vog at notjusthosting.com
So Jun 18 18:35:23 CEST 2006


On Sun, Jun 18, 2006 at 01:30:36PM +0200, Steffen Dettmer wrote:
> > > Man hat also nicht das Recht, den Dienst zu verweigern.
> > 
> > ... sondern nur das Recht, den Kriegs-Dienst zu verweigern.
> 
> Nein, man hat das Recht, "bestimmte Werte höher zu schätzen".
> Beispielsweise Religion (oder halt "Gewissen"). Das ist ein Unterschied.

Nein, eben nicht. Wozu habe ich mir denn die Mühe gemacht, das KDVG
zu zitieren? Also nochmal langsam:

Das Recht auf KDV ist *nicht* nur die Nebenwirkung eines anderen
Gesetzes. Nein, es gibt ein extra *Gesetz*, nämlich das KDVG, das
"Kriegsdienst-Verweigerung aus Gewissensgründen" explizit erlaubt
und regelt.

Die KDV wird damit *nicht* nur durch die im GG verlangte Religions-
und Gewissensfreiheit legitimiert, sondern explizit durch ein Gesetz.

> Beispiel Kaufvertrag. Kaufst Du ein Auto und willst es dann doch nicht,
> hast Du erstmal trozdem ein Auto. Du hast nicht das Recht, aus dem
> Vertrag zurückzutreten. Allerdings mag es Ausnahmen geben,
> beispielsweise wenn der Käufer noch minderjährig oder geistig krank ist.
> Dann kann man da eine "Ausnahme machen".

Die Analogie ist falsch, da es in diesem Fall eine explizite Gesetzes-
Formulierung gibt, also solche Umwege und juristische Feinheiten gar
nicht notwendig sind.

Vielleicht ist das auch nur ein Missverständnis, weil ich mich unklar
ausgedrückt habe. Einfache "Kriegsdienst-Verweigerung" nach dem Motto
"keinen Bock" oder "Zivi ist weniger Arbeit" ist nicht explizit erlaubt,
aber das habe ich auch nicht behauptet. Ich sprach von "Kriegsdienst-
Verweigerung aus Gewissensgründen", und die ist sowohl durch das GG als
auch durch ein spezielles Gesetz (KDVG) legitimiert.

> > BTW, diese "gewissen Umstände" sind keine kleinen Ausnahmen, sondern
> > einfach eine Alternative. 
> >
> > Menschen mit Gewissensproblemen, vorallem bei anstehenden Kriegen, gab
> > es immer in jeder Kultur und in jeder Religion, und es sind gar nicht
> > mal so wenige. Hierzulande werden sie anerkannt, was auch direkt aus
> > dem o.g. GG folgt.
> 
> Diese Menschen können es also mit dem Gewissen vereinbaren, dass die
> Nachbarn von Angreifern zerstückelt und dann vergewaltigt (oder
> umgekehrt) werden, aber nicht, diese Angreifer davon abzuhalten?

Nicht mit Waffengewalt. Da ich ohnehin keine Waffe trage, bliebe mir
erstmal nichts weiter übrig als Selbstschutz zu betreiben, mir den
Angreifer gut zu merken und die Polizeit sofort anzurufen. Ggf. auch
den Notarzt. Und später bei einer eventuellen Gerichtsverhandlung als
Zeuge aufzutreten und nicht zu kneifen.

Das alles gehört aber nicht zum Militärdienst, sondern da es sich um
meinen Nachbarn handelt, zur Zivilcourage. Auch im Erste-Hilfe-Kurs
bekommt man beigebracht, dass man zuerst Selbstschutz betreiben sollte.

Wenn also jemand im brennenden Benzintanklaster liegt, der jederzeit zu
explodieren droht, bin ich als einfacher Passant nicht zu der Heldentat
verpflichtet, mit ihm in der Explosion zu sterben.

(Ich finde es im übrigen auch nicht sehr "ehrenhaft", so etwas zu tun.
Unfairerweise werden in den Medien nur diejenigen hochgepriesen, die
solch eine "Heldentat" auch überlebt haben. Die viel größere Anzahl von
Menschen, die bei solchen Aktionen draufgehen, werden nur selten
gefeiert ... sie lassen sich auch schwer interviewen und in Szene
setzen. SCNR)

Dieser Selbstschutz ist eine völlig natürliche und legitime Eingrenzung
der Pflicht zur Hilfe am Unfallort.

Genauso kann auch niemand von mir erwarten, mich auf besagte Angreifer
zu stürzen, wenn die Chancen ziemlich groß sind, dass ich damit nichts
erreiche, außer selbst getötet zu werden.

> Super,
> so ein Gewissen. Aber hier ist es eh nicht an mir, dazu was zu sagen.

Dein Beispiel wirkt auf mich sehr bizarr und wirr. Ich weiß absolut
nicht, worauf du hinaus wolltest.

Dass jeder deutsche Staatsbürger in ein Krisengebiet seine Wahl gehen
sollte, um sich dort zwischen die Fronten zu stellen?

Dass ich zu jedem anderen Menschen eine genauso starke Verbindung haben
sollte wie zu meinem Nachbarn, sodass ich mein Leben für ihn riskieren
würde?

> Jedenfalls wenn jemand sagt, ich kann keine Waffe auch nur in die Hand
> nehmen (und das begründen kann mit GGB), kann man dieser grossen
> Ausnahme einen Ersatzdienst anbieten.

Dann frage ich am besten erst gar nicht, was du von Sport hältst.
(also z.B. das Schießen auf Tontauben)  Man muss nicht gleich ein
so starkes Trauma haben, keine Waffen überhaupt nur in die Hand nehmen
zu können.

> Solche Leute gibt es bestimmt. Die
> vielen KDV, die ich getroffen und gesprochen habe, zählten jedenfalls
> nicht dazu.

Ich bestreite nicht, dass es viele auch ohne Gewissensprobleme tun.
Ich persönlich kenne auch nur wenige, die bei ihrem KDV-Antrag wirklich
ehrlich waren.

Aber ich finde, du stellst ziemlich (unmenschlich) harte Bedingungen,
bis du jemand anderem Gewissensprobleme zugestehst.

> > > Menschenwürde? Ist es unter Deiner Würde, mit Waffengewalt
> > > Zivilisten vor Mord zu schützen? Die Würde eines Soldaten ist in
> > > Deutschland gewahrt.
> > 
> > Nein, nicht unbedingt. Befehle entgegen zu nehmen, mit denen ich
> > andere töten kann, das *ist* unter meiner Würde. 
> 
> Ach so, weil Du als einziger die unbedingte Wahrheit gepachtet hast, und
> damit niemand (auch kein Expertenteam) Dir was sagen kann?

Nein, weil niemand anderes die Wahrheit gepachtet hat und es demzufolge
meine *eigene* Entscheidung sein sollte. Außerdem sind die Verhältnisse
im Krisengebiet nur selten so klar und eindeutig.

> Gesundes Selbstbewusstsein!
> 
> Ich möchte Dich mal sehen, wenn Du einen mit einer Bombe auf eine volle
> Schule rennen sähest und nur ein Scharfschützengewehr hättest, 100m.

Genau sowas meine ich. Mal abgesehen davon, dass ich in solch einer
Situation wahrscheinlich *kein* Scharfschützengewehr in der Hand hätte:
Wie sollte man das erkennen? Wenn jemand mit einer Bombe in die Schule
will, wird er sie gut verstecken. Selbst wenn ein bombenähnliches
Gebilde zum Vorschein treten würde, wie sollte ich das aus 100m
Entfernung sicher erkennen? Nehmen wir an, ich hätte ein Fernglas
(du siehst, es werden immer mehr Annahmen), dann bleibt immer noch die
Frage, wieso er so auffällig auf die Schule zurennt.

Soll ich deiner Meinung nach auf jeden schießen, der sich meines
Empfinden nach zu schnell auf eine Schule zubewegt?

Würde sich dieses Szenarie in Deutschland abspielen, müsste ich davon
ausgehen, dass dieser Typ einen schlechten Scherz probiert. Für
geschmackslosen Humor jeodch verdient niemand die Todesstrafe.

Überhaupt, du würdest von mir verlangen, jemanden zu Tode zu
verurteilen? Ich allein als Ankläger, Richtiger und Ausführender.
*Sowas* nenne ich "gesundes Selbstbewusstsein"! Tut mir leid, von der
Sorte gibt es genug Menschen, mehr als die Menschheit gebrauchen kann.

> Würdest Du ihn tatsächlich rennen lassen? Könntest Du es mit Deinem
> Gewissen vereinbaren, dass dann vielleicht hunderte Kinder zerfetzt
> werden?

Der Knackpunkt liegt bei "vielleicht". Wie war das mit der "absoluten
Wahrheit"? Du widersprichst dir mit deinem eigenen Beispiel gerade
selbst.

In dieser Situation würde ich definitiv *nicht* schießen, gerade *weil*
ich die absolute Wahrheit eben *nicht* kenne! Auch nur im geringsten
Zweifel kann man doch keinen Menschen umbringen! Und genau das ist eine
Frage der Einstellung, genauer gesagt: eine Gewissensfrage.

> > > Freiheit der Persönlichen Entfaltung? Quatsch, der Entfaltung sind
> > > enge Grenzen gesetzt, beispielsweise, wenn andere geschädigt oder
> > > nicht geschützt werden (unterlassene Hilfeleistung, KDV, andere).
> > 
> > Die Grenzen sind genau dort gesteckt, wo die Freiheit anderer beginnt.
> > Ich finde, weiter kann man sie gar nicht stecken.
> 
> Ist Freiheit denn nicht schützenswert? Wenn also jemand die Freiheit
> Deines Nachbarn beschränken will, in der er ihn beispielsweise
> verprügeln will - sollte man denn nicht dazwischengehen? Notfalls auch
> mit Gewalt, sprich: selbst prügeln? Weil man lieber den "Bösen" prügelt
> als zulässt, das der "Böse" jemand anders prügelt?

Wieder ein verdammt schlechtes Beispiel. Zunächst einmal geht es hier
um Zivilcourage und nicht um Kriegsdienst, aber sei es drum.

Nehmen wir an, ich wäre wesentlich stärker als der Angreifer, dann würde
ich ihn einfach festhalten, keine Frage. Ich weiß aber nicht, was das
mit "den Bösen prügeln" zu tun hat. Und erst recht weiß ich nicht, was
das mit Waffengewalt zu tun haben soll. In den Arm schießen würde ich ihn
jedenfalls nicht, und ihn auch nicht verprügeln.

Wesentlich wahrscheinlicher ist es aber, dass ich ihm unterlegen wäre.
Dann greift der Selbstschutz: Es wäre nutzlos, wenn ich Öl ins Feuer
gieße, ihn also zwei Leute verprügeln lasse. Wahrscheinlich würde
ich Hilfe holen. Hat der Angreifer keine persönlichen Motive, könnte
man auch versuchen ihn abzulenken. Wenn er dumm genug ist, den Nachbarn
in Ruhe zu lassen und auf mich loszugehen, würde ich rennen, was das
Zeug hält, aber garantiert nicht zuschlagen (so nah sollte man niemals
an einen agressiven Menschen herangehen, wenn man nicht körperlich weit
überlegen ist).

In jedem Fall würde ich auch hier die Polizei holen, die besser
ausgebildet ist und mehr Erfahrung hat. Auch diese wird wohl kaum
ihre Schusswaffen gebrauchen, oder mit Tränengas auf ihn los stürmen.
Von der Polizei erwartet ich, dass sie ihn auch so festhalten können,
und das ist AFAIK auch der Normalfall.

Ich frage mich an dieser Stelle sehr stark, ob du tatsächlich glaubst,
gewalttätige Auseinandersetzungen würde sich nur durch großere Gewalt
lösen lassen. Nahezu jede Kampfsportart widerspricht dem. Du musst einen
Angreifer nicht verprügeln, um ihm vom Opfer wegzukriegen. Normalerweise
schafft man das, ohne eine weitere Kampfhandlung zu erzeugen.

Kann es sein, dass du Stärke mit Gewalt verwechselst?

> Jetzt könnte sich wieder nahtlos das Schulbeispiel anschliessen.

Ich sehe die Verbindung nicht. Bei einem gewalttätigen, prügelnden
Angreifer hat man ganz andere Möglichkeiten als bei einem Menschen
mit ner Bombe.

Sollte ich deiner Meinung nach etwa, wenn ich sehe dass mein Nachbar
verprügelt wird, zum Dachboden laufen, dort mein Scharfschützengewehr
rauskramen, mich ans Fenster stellen und dem Angreifer in den Oberarm
schießen? ... wobei ich ihn wahrscheinlich leicht verfehle und den
Oberkörper, den Kopf, oder vielleicht sogar meinen Nachbarn treffe?
Wenn überhaupt, würde ich nur in die Luft schießen. Insgesamt denke ich
aber, eine Waffe im Haushalt bringt im Ernstfall mehr Schaden als
Nutzen, zumindest in Ländern wie Deutschand oder Frankreich.

Nochwas: Wenn ich so leicht eine Waffe zu Hause hätte, hätte mein
Nachbar und der Angreifer sicher auch eine, dann wäre das wahrscheinlich
keine Prügelei, sondern eine Schießerei. Und nein, dann würde ich *nicht*
dazwischengehen. Schon gar nicht als einzelner.

> > Auch nicht-religiöse Menschen haben ein Gewissen.
> > Weil es nicht in erster Linie auf die Religion ankommt. 
> 
> Wer aus Gewissensgründen akzeptieren kann, dass Unschuldige erschossen
> werden, sollte auch akzeptieren können, dass Unschuldige davor beschützt
> werden, finde ich.

Richtig. Aber Waffengewalt ist nur eine von hunderten von Möglichkeiten,
Unschuldige zu beschützen.

> > Es wäre auch eine ziemlich ungerechte Bevorzugung, wenn man Cristen
> > erlauben würde, ihrem Gewissen (in Sachen KDV) zu folgen, es aber
> > Atheisten verweigert.
> 
> Er kann ja beim Universum schwören, nicht zu töten oder so. Ist das
> keine Religion im engeren Sinne - logisch aber schon, finde ich. Na,
> anderes Thema.

Das Gewissen wird durch den eigenen Charakter gesprägt, vorallem durch
die persönlichen Erlebnisse. Man kann demnach auch "einfach nur" von etwas
überzeugt sein, ohne Schwur, ohne Tradition, ohne Religion, ohne Mythen.
Es kann sogar passieren, dass sich das eigene "Innere" gegen etwas wehrt,
was man anfangs für Gut empfunden hat. Sowas nennt man, wenn es im
Nachheinein geschieht, "ein schlechtes Gewissen haben". Tut mir leid,
ich sehe daran nichts religiöses, sondern nur etwas ganz natürliches,
menschliches. Außerdem denke ich nicht, dass religiöse Menschen in
irgendeiner Form ein "stärkeres" oder "ausgeprägteres" Gewissen haben
als Menschen ohne festen Glauben.

Von daher: Ich finde es sehr gut, dass das Gesetz vom Gewissen und
nicht von der Religion redet. Der Begriff "Gewissen" trifft IMHO den
Kern der Sache wesentlich besser als der Begriff "Religion".

Oder anders gefragt: Willst du daraus, dass jemand in einer bestimmten
Situation ein schlechtes Gewissen hatte, auf seine Religion schließen?


Viele Grüße,

    Volker

-- 
Volker Grabsch
---<<(())>>---
Administrator
NotJustHosting GbR



Mehr Informationen über die Mailingliste linux-l