[linux-l] Internet-Anfänger soziale Kompetenzen vermitteln

Volker Grabsch vog at notjusthosting.com
So Nov 19 00:04:39 CET 2006


On Sat, Nov 18, 2006 at 09:12:42PM +0100, Norman Steinbach wrote:
> > Hast du doch festgestellt. Dass ich dem Kunden die Quellen der geänderten
> > Lib nicht direkt zur Verfügung gestellt habe, sie auch nicht wirklich
> > veröffentlich habe, sondern stattdessen nur dem ursprünglichen Autor
> > zurückgegeben habe.
> Beinhaltet ein solches Zurückgeben auch, dass der Autor die Erlaubnis
> hat, die Änderungen - so er sie für sinnvoll erachtet - in die nächste
> Version der von ihm veröffentlichten Lib zu übernehmen, evtl. natürlich
> mit Hinweis auf Dich als Ersteller der Änderung?

Das versteht sich von selbst, sonst würde ich ihm das nicht schicken.
Zumindest war es so gemeint in meinem erfundenen Beispiel.

> Ich bin dankbar,
> dass es Ubuntu als Gegengewicht für Homeuser gibt, und gehe stark davon
> aus, dass sich Ubuntu als Betriebssystem unter den Leuten bald so weit
> verbreiten wird, wie Firefox als Browser.

Du siehst also Ubuntu als die "Chance" für Linux. Interessante These,
aber dieser entgegen stehen die vielen Vorläufer. Mir fällt nur Knoppix
ein, aber es gibt sicher auch noch ältere Versuche, ein leicht
installierbares Linux für "jedermann" zusammen zu schustern. Selbst wenn
sie in vielerlei Hinsicht die Bedürfnisse erfüllen und in einigen Teilen
Windows übertreffen: Die Masse erreicht es IMHO noch nicht. Es hat
lediglich ein ernst zu nehmendes Wachstum.

Es müsste viel mehr PC-Händler geben, die Linux standardmäßig
vorinstallieren (egal, ob Debian, Ubuntu, etc.). Außerdem eignet sich
freie Software besonders gut für Spezialanfertigungen, diesen
Wettbewerbsvorteil hat aber kaum einer umgesetzt ... im Serverbereich
natürlich schon, aber leider nicht im Desktop-Bereich. Nach dem Motto:

"Was wollen/werden Sie mit dem Rechner tun? Müssen Sie Dokumente mit
Ihrer Arbeit/Firma austauschen? Oder mit Freunden? Was haben die für
Computer/Betriebssystem/Software? Welchen Internetzugang haben Sie?
(DSL/Modem/WLAN/...)"

Darauf basierend könnte man dann eine Distro vorinstallieren. Und
vielleicht sogar stark "tunen", wie vor ein paar Wochen schonmal
diskutiert. Aber man darf es nicht übertreiben, schließlich soll sich
der Nutzer bei Bedarf auch noch neue Pakete installieren können.

Am besten in Verbindung mit einem PC-Anfängerkurs. Diese Kurse sind
eh sehr beliebt, aber meistens Windows-spezifisch. :-(

Ich bin mir nicht sicher, individuelle Beratnug ist ja aufwändiger,
aber trotz Zusatz-Aufwand sollte man sie preiswerter anbieten können
als eine Windows-Lizenz, oder?

Problematisch an dieser Geschäftsidee wäre, dass der Benutzer Angst
haben muss, in seinem privaten Umfeld nur "Windows-Experten" zu haben.
Außerdem kommt man als PC-Händler eher kaum an die wirklichen Anfänger
heran.

So müsste man das Produkt dann anders benennen. Also z.B. ein
"Multimedia-Studio". Okay, es ist vielleicht nur ein normaler PC
im netten Gehäuse mit ner leicht angepassten Linux-Distro, aber "als
Ganzes" verkauft wäre es sicher nicht uninteressant. Hier wird aber
der Eindruck erweckt, dass es was "Spezielles" sei. Das hat oben
genannten Vorteil, aber den Nachteil, dass es sowas schon längst
gibt, und sich scheinbar nicht wirklich gut verkauft.

> > Heutzutage ist diese technische Hürde weg. Das ist eigentlich gut. Aber
> > fehlen den Neulingen auch die sozialen Kompetenzen, die im weltweiten
> > Netz nunmal besonders entwickelt werden müssen, weil dort höhere
> > Anforderungen an den Einzelnen gestellt werden als im kleinen Famlien-
> > und Freundeskreis.
> Das ist eine hochinteressante Theorie. Ich habe da eben mal ein wenig
> drüber nachgedacht und kann dir eigentlich nur beipflichten, aber: Wie
> könnte Deiner Meinung ein "richtigeres" Heranführen der Menschen an das
> Internet und die Technologien aussehen?

Jeder hat irgendwann einen ersten Kontakt mit dem Internet. Danach
sortiere ich mal:

1. Das kann im späteren Alter sein, dann meist verbunden mit Computer-
und Internet-Lehrgängen. Sowas gibt es z.B. an Volkshochschulen und ist
recht beliebt. Hier machen die Dozenten offenbar einen schlechten Job.
Mein Vater war mal bei sowas dabei, und hat mir etwas davon erzählt.
Zum Beispiel wurde elendig viel Zeit damit verbracht, den Leuten zu
erklären, was der Unterschied zwischen Suchmaschinen und Web-Katalogen
ist. Für sowas braucht man keine Theorie, sondern billige Praxis. Lass
die Leute etwas mit google rumspielen, dann mit dmoz. Die Unterschiede
kapieren sie schon von selbst. Es ist zwar lobenswert, über die Browser-
bedienung hinaus gehendes Wissen vermitteln zu wollen, aber das erreicht
man doch nicht durch trockene Theorie, sondern gerade im Internet durch
anschauliche Beispiele und Interaktion. Die Zeit, die man dabei
einspart, kann man locker nutzen, um Verhaltensregeln zu vermitteln,
natürlich immer anhand griffiger Beispiele. Oder sich ne Stunde Zeit
nehmen und mit den Leuten chatten oder mit ihnen E-Mails schreiben.
Der Dozent könnte einen Troll spielen, die Leute würden also blutige
Anfänger garantiert in einem Flamewar enden. Danach könnte er mir ihnen
darüber reden. Ist die Zeit knapp, kann er ja einfach einen realen
Flamewar aus dem Usenet rauskramen und erläutern.

2. Das kann in der Schule sein. Da gibt es Informatik-Unterricht. Dieser
ist meines Wissens nach seit je her gespalten. Es gibt eine tiefe Kluft
zwischen den Schülern, die total unbedarft sind und denen, die einen
Computer zu Hause haben. Eine Unterrichtsstunde "Wie bediene ich
Browser, Mailprogramm, IRC-Client, ..." ist für zweitere Gruppe sehr
langweilig, sodass ohnehin im Unterricht gespielt, gechattet, etc. wird.
Das kann man auch steuern. Es gilt hier das selbe wie in 1., nur dass
die Schüler viel schneller lernen und der Lehrer viel mehr Zeit hat.
Es sollte also *erst recht* möglich sein, das in den Informatik-
Unterricht zu integrieren. Falls sich ein neues Fach "Medienkompetenz"
entwickelt, könnte man das auch dort integrieren. Eine einzige
Unterrichtsstunde, vielleicht einmal pro Halbjahr, wenn sie gut gemacht
ist, sollte völlig ausreichen, um die Schüler auf das Thema zu
sensibilisieren. Oder die letzten 10 Minuten einer Informatik-Stunde,
wo die, die fertig sind, ohnehin rumspielen, lieber in einer bestimmten
Mailingliste quatschen lassen. So lernen die Schüler gleich ordentliches
Quoting, etc.

3. Ein Problem ist die große Masse, die das Internet nicht in einem
Lehrgang oder in der Schule kennenlernt. Zum Beispiel wird ein Computer
von Freunden eingerichtet, und derjenige mit einem Browser allein auf
das Netz losgelassen. Das ist seit AOL & Co. ein großes Problem, weil
dort den Benutzern suggeriert wird, wie einfach und schnell sie
"Internet haben" können. Technisch gesehen ist das ja auch richtig und
gut so, aber trotzdem sollten gerade diese Firmen ihre Verantwortung
wahrnehmen, und eben als Startseite nicht nur eine Suchmaschine mit
AOL-Logo bieten, sondern wirkliche Einsteigerhilfen. Das kann man ja
alles nett verpacken. Oder ein Mailprogramm, das TOFU entdeckt und einen
kurzen erklärenden Text als Warnung ausgibt. Anfängerfreundlichkeit kann
doch mit erzieherischen Maßnahmen gekoppelt werden. Und man muss es ja
dem User nicht als Fehler unter die Nase reiben, sondern kann es als
"Tipps und Tricks" verbuchen. Aber all das wird nicht geschehen, weil
es dafür kein Interesse bei den Internet-Providern gibt. Vielleicht ist
das sogar ganz gut so. Nun, diese Gruppe lässt sich wieder in junge und
ältere Menschen unterteilen. Die jungen Leute sollten das wiegesagt in
der Schule haben, und auch wenn sie das Internet kennenlernen, bevor
es in der Schule behandelt wird, werden sie den entsprechenden
Unterricht auch haben. Sorgen macht mir also nur noch der ältere Teil,
der das nicht mehr in der Schule lernen wird.


Kurz gesagt würde ich also in den Schulen und den Computer/Internet-
Lehrgängen damit anfangen. Dort kann man auch den Auftrag geben, die
Eltern/Freunde zu befragen, ob diese Wissen, was ein "Troll" oder
"Flamewar" sei. So erreicht man noch mehr Leute damit. Über die Schule
auch die Eltern, über die Internet-Kurse auch die Lebensgefährten
bzw. Freunde des Teilnehmers.

Da die großen Firmen ihre Verantwortung nicht wahrhaben wollen, die sie
mit dem Verkauf des "einfachen Internets" tragen, sollte es zusätzlich
ein Community-Projekt geben. Vielleicht existiert es schon und ich kenne
es nicht, dann klärt mich bitte auf. Aber ich fände es schick, wenn
es eine zentrale Internet-Einsteiger-Seite gäbe. Vielleicht in vielen
Sprachen und mit einem Wiki-ähnlichen System gepflegt. Dort könnte man
abwechselnd in theoretische und praktische "Tipps" zerlegen. Also einmal
wird erklärt, was ne Suchmaschine, was ein Web-Katalog ist, und einige
Beispiele gezeigt. Danach kommen konkrete Tipps für Google, z.B. dass
man den Suchbegriffen ein "+" oder "-" voranstellen kann. Immer
natürlich mit Beispielen, interaktiv (z.B. Google in einem iframe öffnen),
und mit einem Link zu mehr Infos für die, die's genau wissen wollen.
Dann kann man z.B. Wikis besuchen, erklären, wie man was einträgt, und
das Thema Wiki-Spam gleich mit behandeln, indem man den Leuten verhunzte
Wikis zeigt, oder Links auf Seiten die wegen des Wiki-Spams dicht
gemacht wurden (meistens haben die einen Erklärungs-Text von der Sorte:
"Danke, ihr ver***** Ar******, ihr sch****** Spammer.")

Richtige Interaktivität bräuchte man bei Mailinglisten oder IRC. Da
könnte es regelmäßige "Veranstaltungen" geben, also z.B. Sonntags ab 15:00
eine Troll-Party, wo Anfänger in einen bestimmten Channel gebeten
werden, ihnen dort Sachen demonstriert werden (z.B. jemand gekickt
wird), und irgendein Chaos angerichtet wird. Es sollte nur rechtzeitig
abgebrochen werden, z.B. im IRC alle stumm geschaltet werden, und einer
der Channel-OPs erklärt, was gerade schief gelaufen ist, wie leicht es
war, und eventuell lobend diejenigen hervorheben, die sich richtig
verhalten haben. (falls da überhaupt einer mit dabei ist)
Sicher, dafür braucht es Freiwillige, aber ich denke, auch erfahrenen
Internet-Nutzern würde es Spaß machen, einmal in der Woche abwechselnd
eine Horde Anfänger an der Nase herum zu führen.

Angestoßen müsste es von Leuten werden, die viel Internet-Erfahrung
haben, und gut in Pädagogik sind. Später könnte die Community sich
auch selbst tragen. Quasi eine Rekrutierungs-Community *innerhalb*
der Internet-Community. Ob es sowas schon gibt, oder ob es gescheitert
ist, weiß ich nicht. Ich habe jedenfalls nirgends davon gehört.
Irgendwelche Kommentare, Anregungen?

> Wie könnte man die "soziale
> Komponente" des Internet (oder der Computertechnologie im Allgemeinen?)
> über eine "Netiquette" hinausgehend den Menschen vermitteln?

Die Netiquette ist ein Text. Nicht mehr und nicht weniger. Willst du
etwas vermitteln, brauchst du Interaktivität. Von daher: Man kann
verdammt viel machen, das über einen dezenten Hinweis auf die Netiquette
hinaus geht.

> Ich mache
> mir schon lange Gedanken über eine Möglichkeit, wie man diese Dinge den
> Menschen auf eine verantwortungsvolle Weise nahebringen kann, denn
> letztlich weiß ich, dass alles was ich bisher an Einrichtungs- und
> Installationsarbeiten für irgendwelche Privat-PCs anderer Leute
> vorgenommen habe, so gesehen eigentlich eher "verantwortungslos" war.

Ja, es fehlt wirklich eine Anlaufstelle. Etwas, an das sich jeder
Anfänger halten kann, und wenn er andere einweist, eben nicht nur auf
sein Halbwissen zurückgreift, sondern dem Neuling zumindest eine
ansprechend gestaltete, spielerische Einführungs-Seite in das Internet
präsentieren kann.


Nicht ein Wort über Interaktivität und Lernprogramme:

Ich habe früher mal Computerkurse gehalten. Von der Pieke auf, damals
noch auf DOS-Rechnern mit Windows 3.11 ... damals war noch das lustige
Maus-Lernprogramm dabei. (ab Windows 95 gab es nur noch diese
anspruchslose Windows-Hilfe)  ...  man konnte richtig beobachten, wie
die Kinder zuerst die Maus total umständlich gehalten und geklickt
haben. Nach 10min oder so, als alle damit durch waren, hielten sie die
Maus korrekt in der Hand und konnten geschickt damit umgehen. Ein kurzes
intensives Training, noch bevor sie irgendwelche Icons doppelklicken
oder Fenster verschieben. Das Lernprogramm musste ihnen nichtmal
vorschreiben, wie sie die Maus zu halten und zu bewegen hatten. Es hat
sie einfach nur gefordert:
* schiebe die Maus der Reihe nach zu den Symbolen 1, 2, ...
* Doppelklicke dieses Icon
      "Du warst zu langsam, versuche es nochmal"
* Klicke und ziehe das Icon von A nach B
* ...
Alles andere ergab sich von selbst.

Heutzutage sehe ich Anfänger noch nach Wochen ihre Maus komisch halten,
sie verschieben die Maus beim Klicken, schließen dadurch Fenster statt
sie zu maximieren, u.s.w. ... all diese zusätzlichen Probleme lassen
sich mit einem 10minütigen Intensivtraining gleich im Voraus abstellen.
Aber ich habe dieses Programm seit Win95 nicht mehr gesehen. Auch keine
freie Software mehr, die das kann. So ein Teil wollte ich schon immer
mal selbst schreiben als freie Software, aber bin nie dazu gekommen.

Genauso wie ein guter Tipptrainer etlichen Tastaturproblemen vorbeugt.
Im Stile eines Computerspiels, sehr cool, ist z.B. diese
Flash-Applikation: http://cognitivelabs.com/word_shoot.htm
Etwas analoges für den Desktop wäre ebenfalls eine wahre Bereicherung
für Anfänger und Computer-Lehrgänge.


> Also warum geht man nicht daran, Linux nicht nur an Schulen
> sondern auch überall wo Menschen Grundlagen-Computerwissen vermittelt
> bekommen können (Die Volkshochschule bietet Linux- und Windowskurse an.
> Als Einsteigerkurse aber nur Windows. Hat da schonmal jemand
> nachgefragt, warum?) verstärkt zum Einsatz zu bringen?

Das ist ein anderer Punkt. Aber die Heranführung an das Internet kann
zunächst auch erstmal unter Windows mit Firefox und Thunderbird
geschehen, zur Not auch unter IE und Outlook. Die Sache mit dem Internet
und Sozialverhalten ist ja unabhängig davon. (obwohl gutes Quoting
mit Outlook unnötig schwer ist ... das wäre der ideale Aufhänger, um
Firefox statt Outlook vorzuführen, weil's sonst im Kurs zu viele
Probleme gibt)

Dennoch: Ich fände es viel wichtiger, den Dekan dazu zu bringen, viel
mehr soziale Aspekte in den Kursen behandeln zu lassen, als im
Computerpool das Betriebssystem auswechseln zu lassen. Letzteres
käme dann nämlich von selbst. ;-)

> *Sofern man überhaupt pauschalisiert von der "Linux-Welt" sprechen
> kann...es fehlt eine "zentrale Außenschnittstelle", eine Organisation
> von Leuten, die sich um das Bild von Linux/OpenSource-SW in der
> Bevölkerung kümmert....eine Art Marketing-und-Pressetätigkeit...

Das ist wahr. Aber eine Anlaufstelle für Einsteiger, die sich erstmal
auf soziale Aspekte stütz, ist IMHO viel wichtiger. Zumal es dieses
*wirklich* noch nicht gibt, während es Linux/OpenSource-Anlaufstellen
zuhauf gibt ... dort eher zu viele. :-)


Viele Grüße,

    Volker

-- 
Volker Grabsch
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