[linux-l] Halb-OT: Linux und die moderne "IT-Gesellschaft"

Steffen Dettmer steffen at dett.de
So Nov 19 20:30:53 CET 2006


* Norman Steinbach wrote on Sat, Nov 18, 2006 at 21:12 +0100:
> > Das hat mit Informations-Überflutung zu tun, und hat auch einige
> > Vorteile. Ich finde eher, dass hier die Menschen falsch an das
> > Internet herangeführt werden. Früher musste man sich sehr viel
> > technisches Wissen aneignen, und die soziale Kompetenz hat man sich
> > parallel dazu gleich mit erworben (z.B. seine Infos zu verifizieren,
> > bevor man sie veröffentlicht, keine Flames anzufangen/fortzuführen,
> > u.s.w.) Heutzutage ist diese technische Hürde weg. Das ist
> > eigentlich gut. Aber fehlen den Neulingen auch die sozialen
> > Kompetenzen, die im weltweiten Netz nunmal besonders entwickelt
> > werden müssen, weil dort höhere Anforderungen an den Einzelnen
> > gestellt werden als im kleinen Famlien- und Freundeskreis.

> Das ist eine hochinteressante Theorie. Ich habe da eben mal ein wenig
> drüber nachgedacht und kann dir eigentlich nur beipflichten, aber: Wie
> könnte Deiner Meinung ein "richtigeres" Heranführen der Menschen an
> das Internet und die Technologien aussehen? Wie könnte man die
> "soziale Komponente" des Internet (oder der Computertechnologie im
> Allgemeinen?) über eine "Netiquette" hinausgehend den Menschen
> vermitteln? 

Ich glaube nicht, dass es sich hierbei um ein technisch-typisches
Problem handelt. Die "Sozialkompetenz" nimmt einfach ab. Früher musste
ein Dorf zusammenhalten, um ein Haus bauen zu können, heute ist es
einfach und unproblematisch, wenn man die Nachbarn gar nicht kennt.
Vermutlich weil der Mensch von Natur aus faul ist, investiert man dann
halt weniger Zeit in sowas und die Sozialkompetenz nimmt automatisch ab,
weil die "sozialen Bande" schwächer werden.

> Ich mache mir schon lange Gedanken über eine Möglichkeit, wie man
> diese Dinge den Menschen auf eine verantwortungsvolle Weise
> nahebringen kann, denn letztlich weiß ich, dass alles was ich bisher
> an Einrichtungs- und Installationsarbeiten für irgendwelche Privat-PCs
> anderer Leute vorgenommen habe, so gesehen eigentlich eher
> "verantwortungslos" war.  Zunächst kann man eigentlich nur bei Leuten
> anfangen, die noch überhaupt keine Computererfahrung haben, diese aber
> erhalten möchten, das ist klar. 

Ich finde, ein Problem ist die allgemeine Gedankenlosigkeit. Die Leute
gucken halt Talkshows und sonstwas, selbst nachdenken ist ja schon
anstrengend. Ich glaube nicht, dass das Problem Unkenntnis ist, sondern
dass es einfach keiner so genau wissen will - und natürlich schon gar
nicht dafür bezahlen.

Ich finde es zum Beispiel total falsch, wenn Leute sich ihr Windows
selbst einrichten. Wozu soll ein Normalsterblicher wissen müssen, was
eine IP-Address ist? Wichtiger wäre doch, das allgemeinene Wissen über
Informationen zu haben. Sowas wird aber meines Wissens nach nicht an
Schulen und nicht an Unis gelehrt. Nicht mal im Informatikstudium hat
man was über Sprachtheorie usw. Mindmaps werden als bunte Bildchen
hingestellt und das wars dann. Was eine "Relation" ist, gilt heute
vielleicht schon als Fachwissen... In der Schule kommt man mit
auswendig-lernen voran, die Lehrer wollen es eigentlich auch nicht
anders, weils weniger Arbeit macht. Bei Computersystemen fragt sich auch
kaum ein Anwender, warum bestimmte Sachen so und nicht anders sind und
es wird hingenommen: ist halt so. Durch die Werbung wird ein Bedarf
suggeriert und dann erzeugt, der eigentlich gar nicht da ist.

Sowas wie Nettiquette interessiert die Mehrheit der Gedankenlosen
einfach nicht. Die Jungendlichen reden auf der Strasse schon in einer
faulen Sprache, die kaum noch an Deutsch erinnert - im Internet ist das
genauso, "ik seh dat so u so isset" (liest man so in Chat).

Wenn das allgemein interessieren würde, weil man sonst z.B. "sozial
geächtet" werden könnte, hätte man das Problem so meiner Meinung nach
gar nicht. Wenn man einen Netzwerkinstallations-Assistenten schreiben
kann, kann man auch einen Newspostings-Assitenten schreiben. Der prüft
zum Beispiel Sprache und Ausdruck (kann ein Word oder OpenOffice ja
auch), warnt, falls kein realname angegeben wurde und so weiter.

So ein Produkt gibts vermutlich gar nicht, weil es den Bedarf gar nicht
gibt. Wenn es jemanden mit Geld interessieren würde, könnte man das über
Marketing vermutlich ändern, aber das möchte man ja gar nicht, weil dann
die Leute vielleicht insgesammt weniger Geld für irgendwelchen Kram
ausgeben.

Für die Industrie sind "soziale Bande" ja ungünstig. Isolierte
Individualisten sind viel besser, die borgen sich wenig, müssen mehr
kaufen oder mieten - usw.

Und dann "Herranführen an das Internet"... Ich weiss nicht, aber da kann
man doch bestimmt ein Handbuch machen oder kaufen. Gibt's für
Hobbygärtner oder Angler ja auch. Nur mit dem Unterschied, dass ich
nicht mal nebenbei angeln gehe und mich wundere, warum nichts
funktioniert und ich die anderen ärgere, nur, weil ich keine Ahnung hab
:) Aber selbst wenn jemand ein "Internetbuch" hätte, nützte es wohl
nicht viel, weil seitenweise beschrieben wird, wie man sein
Windows-WLAN-Netz einrichtet und das wars dann (jedenfalls bei dem
Internetbuch, dass ich mir mal ansah, war das so in etwa. Es wurden zwar
auch noch Basisdienste wie gopher erklärt [was ich z.B. nie benutzt
hab], aber dermassen langweilig und hilflos, dass da halt nix bei
rauskommt, wenn man das liest).

> Auch in Schulen könnte "verantwortungsvoller Umgang mit neuen
> Medientechnologien" eine sinnvolle Unterrichtseinheit sein...  Am
> besten wäre das natürlich noch zu verknüpfen mit einer Möglichkeit für
> die "breite Masse", den Einsatz von Linux zu lernen - evtl. ohne
> vorher jemals Windows angefasst zu haben. Ich finde, Ubuntu macht dies
> bereits möglich. 

Für mich ist das schon wieder überzogen. Warum sollte ein Normalanwender
überhaupt wissen müssen, ob er nu Windows, Ubuntu oder MacOS benutzt? In
einer idealen Welt würden die Applikationen überall laufen, das OS ist
"irgendwas, was mir mein Admin empfohlen hat", und gut ist. Welches OS
auf dem Computer im Auto läuft, weiss auch kaum jemand - interessiert
auch nicht, solange das ESP funktioniert. Wenn nicht, installiert sich
wohl kaum jemand ein Update aus dem Internet, sondern schafft das Auto
in die Werkstatt...

> However: Es gibt ja immermal "PC-Benutzer-Einsteigerkurse" für Leute,
> die Office-Anwendungen, Internet und E-Mail mit dem Computer machen
> wollen. Alle diese Kurse sind jedoch auf Windows basiert, auf M$ Office
> und auf Ausguck als E-Mail-Client. Als Browser wird meist der IE und
> gnädigerweise noch der Firefox behandelt. 

Da sieht man mal, wie schlecht es läuft. Wenn solche Kurse gut wären,
würde man lehren, wie Texte und vor allem Strukturen funktionieren. Dann
wäre es nach dem Kurs fast egal, welches Programm man nimmt. Und HTML
"h1" bis "h5" versteht man dann nebenbei auch gleich. Ach CSS? Das ist
sowas wie ne Formatvorlage in Word? Alles klar, nehme ich mir eine
Referenz und wende es an, weil ich ja weiss, worum es geht.

> Dass dies die denkbar ungünstigste Art und Weise ist, wie man Neulinge
> an die PC-Benutzung heranführt, dürfte spätestens seit Ubuntu Dapper
> Drake ebenfalls klar sein. Also warum geht man nicht daran, Linux
> nicht nur an Schulen sondern auch überall wo Menschen
> Grundlagen-Computerwissen vermittelt bekommen können (Die
> Volkshochschule bietet Linux- und Windowskurse an.  Als
> Einsteigerkurse aber nur Windows. Hat da schonmal jemand nachgefragt,
> warum?) 

Weil es sehr verbreitet ist und bis vor kurzem praktisch "immer" auf
neuen PCs "vorinstalliert" war.

> verstärkt zum Einsatz zu bringen?  (Und wenn man den Dekan der VHS
> abends mal auf ein Bier und ne Runde Skat/whatever einlädt, um ihm die
> Vorteile genauer darzulegen ;-).

Meiner Meinung nach hat für viele das OS eigentlich kaum direkte
Vorteile. Ich mein, man könnte mit einem SuSE 7.3 prima surfen, wenn's
denn ein Firefox dafür gäbe. Die meisten Funktionen braucht vermutlich
kein Mensch - bzw. werden die nur gebraucht, weil sie da sind, oder?

> Dass das nicht mal eben so geht ist klar, aber es wäre für
> Fortschritte in diesem Prozess grundsätzlich besser, wenn die
> "Linux-Welt"* mehr "aus sich selbst herausgehen" würde.

Warum? Linux ist doch keine Kirche, die aus logisch nicht
nachvollziehbaren Gründen ihren Glauben verbreiten müssen!

Ich finde nur Schade, dass sich so viele Leute oberflächlich und mehr
oder weniger erfolgslos überhaupt "mit Computern" beschäftigen. Bei
Anglern sind wenigstens noch Anglervereine gebräuchlich. Bei Linux war's
früher auch so, heute ist das alles nicht mehr so viel (relativ zu den
Nutzern gesehen), weil es keine wirkliche Elite mehr ist.
Internet-Nutzer sind schon gar keine Elite. Da will man es dann den
Talkshow-guckenden Nutzern insgesammt Recht machen, und wenn man sich
auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen möchte, sollte man auf
eine Division durch Null vorbereitet sein. Das kann dann technisch noch
so falsch sein, hilft nix.

Daher nicht am Stammtisch erklären, wie man bei Linux ne Netzwerkkarte
einrichtet, sondern lieber warum man so ein Ding braucht und was es
leistet. Wenn man das genug vertieft, kommt man automatisch zum "wie",
falls das interessiert - und wenn nicht, ist wenigstens ein bisschen
wiederverwendbares Basiswissen da, als halbverstandenes Spezialwissen.

> *Sofern man überhaupt pauschalisiert von der "Linux-Welt" sprechen
> kann...es fehlt eine "zentrale Außenschnittstelle", eine Organisation
> von Leuten, die sich um das Bild von Linux/OpenSource-SW in der
> Bevölkerung kümmert....eine Art Marketing-und-Pressetätigkeit...

Ist ziemlich genau das Gegenteil von meinem Wunsch :) Die
"Höflichen-Welt", also derer die höflich sind und die
Supermarktkassierein nicht dafür vollmeckern, weil die Audio-CDs wieder
teurer geworden sind, sondern die, die als erstes ein freundliches
"Guten Tag" sagen. ähh... Satz zu lang. Nochmal. Die "Höflichen-Welt"
braucht auch keine "zentrale Außenschnittstelle", keine Organisation
oder Marketing-und-Pressetätigkeit. Es würde reichen, wenn jeder ein
bisschen drauf achtet. Ganz ohne Vorschrift, nur allein, weil es
sinnvoll ist (funktioniert leider nur nicht so :().

oki,

Steffen

-- 
Dieses Schreiben wurde maschinell erstellt,
es trägt daher weder Unterschrift noch Siegel.





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