[linux-l] OT Schlechtigkeiten und Gutheiten (was: mir ist schlecht, siehe Link)

Norm@nSteinBach norm at nsteinbach.de
Do Aug 30 01:40:10 CEST 2007


Hi Peter,

Peter Ross wrote:
> ich denke, das Schoenreden der Vergangenheit haengt auch damit zusammen, 
> dass die Blockwart-/Spitzelmentalitaet und andere Haesslichkeiten, die 
> totalitaere Regime recht geschickt ausgenutzt haben, tief in der 
> Alltagskultur verwurzelt sind.
Ich denke, hier ist sogar noch ein tiefgreifenderes Element der "typisch 
deutschen Mentalität" am Werken, nämlich das der Autoritätshörigkeit, 
die im Westen auch ausgeprägt und vorhanden war: Wenn eine anerkannte 
Autorität etwas veröffentlicht, dann wird das nicht hinterfragt, sondern 
geistlos einfach geglaubt. Das ist ein tieferes 
gesellschaftspsychologiches Problem.

> Dass die technischen Moeglichkeiten zur Ueberwachung besser geworden sind, 
> auch zur Auswertung, bestreite ich nicht. Wobei halt in entscheidenden 
> Momenten eben doch haeufig viel daneben ging. Fuer 9/11 z.B. waren eine 
> Menge Indizien gesammelt worden, aber keiner war in der Lage, das Puzzle 
> zusammenzufuegen.
Dabei ist noch nicht einmal geklärt, ob es wirklich die Unfähigkeit der 
offiziellen Organe war, diese Indizien zusammenzufügen, oder nicht doch 
vielmehr deren Unwilligkeit... (siehe "Lose Change" und andere äußerst 
kritische Dokumentationen zu dem 9/11-Attentat und dem daraus 
resultierenden Kollaps der Twin-Towers)

> [...] die Verharmlosung der Stasi gefaellt mir ganz und gar nicht.
> Die Kultur des Wegschauens gegenueber den Haesslichkeiten, die in der 
> Masse verankert sind, ist doch extrem. [...]
> Wie sehr man seit Jahren, bald zwanzig, in Ostdeutschland den Verfall 
> einer Ordnung kleinredet, die nicht mal fuer koerperliche Sicherheit 
> garantiert, ist doch unglaublich.
*DAS* wiederum dürfte daran liegen, dass nach dem Zusammenbruch des 
sogenannten Sozialismus die Menschen die in der DDR lebten zunächst der 
(inoffiziell als solche angesehenen) "Heilen Welt" des Kapitalismus 
entgegensahen, und die kapitalistischen Systeme aber aufgrund des 
Fehlens eines "nicht-kapitalistischen Feindbildes" keinen Grund mehr 
sahen, ihr wirkliches Gesicht (was keineswegs weniger Lebensverachtend 
ist als das der sogenannten sozialistischen Systeme) zu verbergen. 
Dadurch regt sich in vielen, die den sogenannten Sozialismus noch 
miterlebt haben eine Art Nostalgie-Sehnsucht, nach dem Motto "im 
Sozialismus hatten wir wenigstens alle noch genügend zu Essen und 
niemand musste verhungern". Aufgrund der natürlichen Tendenz zum 
Schwarz-Weiß-Denken des menschlichen Verstandes wird dann das alte 
System herbeigesehnt, weil erkannt wird, dass das heutige System die 
Repressionen des Alten (also das Gewohnte, womit man bereits umzugehen 
weiß) mit den "kapitalistischen Kriegsmechanismen" (des materiellen 
Existenzkampfes um Geld), also den (zuvor ausgeblendeten) schlechten 
Seiten der zuvor inoffiziell von vielen als "heile Welt" angesehenen 
westlichen Systeme vereinbart, anstatt Einzig deren Vorteile zu beinhalten.
Die Ironie besteht in meinen Augen darin, dass jede offiziell gebildete 
Meinung nach der Niederlage der sogenannten sozialistischen Systeme 
(eine Bezeichnung, die diese jedoch auf Grund der Tatsachen, dass sie 
den Menschen ohne wirkliche Erkenntnismöglichkeit deren Sinnhaftigkeit 
aufgezwungen wurden, sowie dass es - wie auch im Kapitalismus - eine 
privilegierte Elite-Schicht in den Gesellschaften gab, in Wirklichkeit 
gar nicht verdient hatten) dahin ging, dass sich als einzig praktikable 
Alternative das kapitalistische System als "Sieger" etabliert hat, ohne 
jemals eine Legitimation dazu zu haben.
Eine Lösung bestünde in meinen Augen aus einer Kombination der für jedes 
Einzel-Individuum (und daraus resultierend auch für die Allgemeinheit) 
besten Elemente beider Systeme, doch aufgrund des bereits erwähnten 
Schwarz-Weiß-Denkens wird derartiges leider nicht wahrgenommen.

> Ich wohne hier in Port Melbourne, wo sich seit den Fuenfzigern viele 
> Griechen niedergelassen haben, oft aus laendlichem Griechenland, billige 
> Arbeitskraefte fuer den Hafen und die Fabriken drumherum. Heute sind viele 
> von ihnen wohlhabend, ihre Kinder sind nicht zuerst Griechen, sondern 
> Australier, die einen griechischen Background haben. Meine Tochter geht in 
> eine Schule, in der vielleicht die Haelfte griechische Nachnamen haben, 
> und das ist eine ganz normale Schule. Die englische Sprache ist im 
> Unterricht genausowenig ein Problem, wie es kein Problem ist, meine 
> Tochter abzuholen, und dann mit ihr deutsch zu reden, wie andere Kinder 
> mit ihren Eltern auch deren Sprache reden.
Damit beschreibst Du, dass es in Australien ein ähnliches "melting-pot" 
Phänomen gibt, wie in den USA, bloß wahrscheinlich in einer anderen 
Entwicklungsstufe.
Aus so einer kulturellen Diversität erwächst jedenfalls eine vollkommen 
andere, weitaus freiere Art zu denken, die sich nicht mehr allzu leicht 
auf das typische Schwarz-Weiß-Denken justieren lässt, wie es bei der 
althergebrachten deutschen Mentalität ist, wo Männer die sich 
freundschaftlich den Arm um die Schulter legen sofort als Schwul 
angesehen werden oder Ausländer aufgrund ihrer Andersartigkeit direkt 
ausgegrenzt werden (was wiederum mit deren Kulturellem Erbe geprägte 
Subkulturen produziert, die oft kein Interesse daran haben, sich mit der 
ursprünglichen Kultur des Landes, in dem sie sich befinden, zu 
verschmelzen).

> Mit Buergern, die auch selbstverstaendlich Australier sein wollen, die 
> dazugehoeren und dazugehoeren wollen.
Ganz einfach deshalb, weil es eigentlich keine wirklichen "Australier" 
gibt, bzw. die einzigen wirklichen Australier eben die Aboriginees sind, 
die sich heutzutage vor allem dauer-alkoholisiert in den Armenvierteln 
aufhalten...Ich würde das als "feindliche Übernahme" bezeichnen.

> Zu einer solchen Integration scheint das Deutschland nach dem 2.Weltkrieg 
> nicht mehr faehig zu sein.
Seitdem wurde ja auch im Denken der deutschen Mentalität kaum etwas 
geändert, die möglichst bedingungslose Autoritätshörigkeit ist ebenso 
noch ein Teil des "deutsch-anerzogenen Denkens" wie das Misstrauen allem 
"Andersartigen", "nicht-deutschen" gegenüber. Für manche mag das 
unangenehm klingen, ist aber eine Tatsache.

> Aber es ist natuerlich einfacher, auf andere oder halt den boesen Staat zu 
> zeigen, als sich mit den in der eigenen Kultur verwurzelten Problemen 
> auseinanderzusetzen.
Ich unterstelle, dass selbst diese "Verbiegung" als Schaffung eines 
"staatlich-behördlich-offiziellen" Sündenbockes ein Teil des Mechanismus 
ist, um das Misstrauen gegenüber Andersartigkeiten zu erhalten. Bloß 
nicht die wirklichen Ursachen erkennen: Die Autoritäten haben es doch 
schon immer geregelt (Stichwort: Autoritätshörigkeit), also sind sie 
jetzt auch daran schuld dass es nicht mehr funktioniert!

Nur ein paar Gedanken meinerseits, inspiriert durch eine Flasche 
Cabernet Sauvignon (aber auch ein unnatürlich hohes Maß an Tippfehlern 
produzierend ;-))

Viele Grüße,

Norm at n



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