[linux-l] OT mir ist schlecht, siehe Link

Thorsten Stöcker tstoecker at baerensoftware.de
Fr Aug 31 18:05:44 CEST 2007


Moin Peter,


>
> In einer sachlichen Diskussion sollte aber eine Unschuldsvermutung
> existieren.
>

Nein, die Unschuldvermutung existiert in dem Falle nicht, kann sie gar nicht, 
da ein Verdacht bereits beinhaltet, das es die Möglichkeit der Unschuld gibt. 
Umgekehrt auch die Möglichkeit der Schuld. Beides bedarf der Verifikation.

> Ich unterstelle z.B. Schaeuble nicht, aus der BRD einen totalitaeren Staat
> machen zu wollen.
>

Wann  ist ein Staat totalitär? Die Frage hat in meinen Augen eine einfache 
Antwort. Beobachte, wie der Staat mit seinen Gegnern umgeht. Danach ist und 
war die BRD nur bedingt ein demokratischer Staat.

> Und.. ja, es gibt Gott sei Dank in einem demokratisch verfassten Staat
> Moeglichkeiten, Balancen zu wahren. Das findet nicht automatisch statt,
> bedarf der Gegenkraefte und es ist gut, dass z.B. hier darueber diskutiert
> wird.
>

Ja, nur kriminalisiert man in diesem Staat gerne die Gegenkräfte. Das fing mit 
der APO an und hat noch kein Ende gefunden. Natürlich ist das noch weit von 
anderen unfreien System entfernt, aber Radikalenerlaß, Rasterfahndung, IP und 
Telefonüberwachung, Bundestrojaner und Echolon und Schlußendlich 
Strafrechtsreform. Ich finde es unerträglich unter Generalverdacht zu stehen, 
nur weil ich links von der Mitte wähle, Linux einsetze meine 
Datenverschlüssele und auch ansonsten staatlicher Gewalt und Machtausübung 
gegenüber renitent bin.  

> Nur ist es wenig hilfreich, wenn ich das Gegenueber auf Verdacht und so zu
> Unrecht daemonisiere.
>

Es geht nicht um daemonisieren. Es geht darum, das hier ein sehr subtiler 
Angriff auf die Grundrechte stattfindet, der durchaus die Ausmaße hat, das 
man von Stasi-Methoden reden kann.

Man muß Schäubles Aktionen mal in den historischen Kontext setzen.

Die Leute, die damals an dem Grundgesetz gearbeitet haben, haben dies 
geschrieben mit den Wirren der Weimarer Republik und dem Dritten Reich im 
Nacken. Die ersten 20 Artikel des GG haben nur einen Grund, sie sollen den 
Bürger vor dem Staat schützen und was glaubst Du, warum Sie ganz vorne 
stehen?

Und alles was ich von Herrn Schäuble höre, ist die paranoide Vorstellung, das 
der Staat vor seinen Bürgern geschützt werden muß. Oder drastischer die 
Mächtigen müssen vor den Bürgern geschützt werden. Das ist absolut 
undemokratisch, das ist ein totalitäres Menschenbild. Der Staat ist nicht 
Selbstzweck und er existiert nur durch seine Bürger. 1983 als die RAF noch 
sehr aktiv war, hat das BVG ein nettes Urteil geschieben.


Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine 
Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht 
vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei 
welcher Gelegenheit über sie weiß. Wer unsicher ist, ob abweichende 
Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, 
verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche 
Verhaltensweisen aufzufallen. […] Dies würde nicht nur die individuellen 
Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das 
Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines 
auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten 
freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist. Hieraus folgt: Freie 
Entfaltung der Persönlichkeit setzt unter den modernen Bedingungen der 
Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, 
Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus. 
Dieser Schutz ist daher von dem Grundrecht des Art 2 Abs. 1 in Verbindung mit 
Art 1 Abs. 1 GG umfaßt. Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis 
des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner 
persönlichen Daten zu bestimmen. “


Benda, Simon, Hesse, Katzenstein, Niemeyer, Heußner, Hensche
Karlsruhe, den 15. Dezember 1983

(AZ. 1 BvR 209, 269, 362, 420, 440, 484/83)

Wenn das die Definition ist, nach denen unser Gemeinwesen funktioniert und ich 
halte das für eine sehr gute Definition, dann ist Herr Schäuble mit seinen 
paranoiden Wahnvorstellungen eine sehr wirkliche und sehr massive Bedrohung 
der

demokratischen
freiheitlichen 

Grundordnung.


>
> Das alles hat nichts mit Aufbauschen oder Verharmlosung zu tun, man sollte
> Dinge sehen wie sie sind, singulaer betrachten statt in Schubladen
> sperren.
>

Es ist noch nicht mal aufgebauscht und Schubladen sind es auch nicht 
unbedingt, ich weiß was Du sagen willst, irgendwo hast Du Recht und doch 
wieder nicht. Die Möglichkeit, das wir uns in 5 Jahren fragen, wie konnte das 
alles nur passieren und warum hat es niemand verhindert, ist nicht von der 
Hand zu weisen. ABer wie bekommst Du die Leute dazu, ihren Arsch zu bewegen. 
In dem Du langweilige Vorträge über die Grundrechte hälst oder Ihnen das 
Schreckgespenst eine wenig ausmalst? 
Natürlich ist es nicht die feine englische Art und natürlich wird hier auch 
mit den Methoden der Desinformation gearbeitet und vielleicht hat das in 
dieser Diskussion wirklich nichts zu suchen.

> Verharmlosung ist uebrigens ein sehr deutsches Wort, finde ich. Es wird
> wieder und wieder verwendet, um den Diskussionsgegner anzugreifen.
>

Ja, Provokation ist ein sehr wirksames Mittel, besonders in Diskussionen.

> Im Englischen muss ich eine Weile ueberlegen, um es zu uebersetzen. Es
> gehoert nicht zum Standardrepertoire hiesiger Diskussionen.
>

Ich weiß nicht, wie es in Aus ist, aber ich kann Dir sagen, das die Amis ein 
paar Merkwürdigkeiten haben. Erstens politische Diskussionen sind irgendwie 
völlig neben der Reihe, weil die nie Stellung beziehen (die politischen 
Ansichten werden von vielen Amis als reine Privatangelegenheit betrachtet, 
die keiner öffentlichen Diskussion bedarf) und das zweite ist die Abneigung 
gegen komplexe Zusammenhänge. Wie oft ich in Diskussionen gehörte habe "Keep 
it simple" kann ich nicht zählen.

Vielleicht hat ja jede Kultur für Diskussionen so ein paar Unwörter, die 
eigentlich nur dazu dienen den Gegner aus dem Konzept zu bringen und über die 
dann erfolgende Rechtfertigung neue Angriffsmöglichkeiten zu eröffnen.

:-)

Grüße aus Spandau mit Vorort Berlin
Thorsten


-- 
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