[linux-l] Re: Graphen und Didaktik

Volker Grabsch vog at notjusthosting.com
Di Jan 9 10:13:18 CET 2007


On Sun, Jan 07, 2007 at 05:54:14PM +0000, Rocco Rutte wrote:
> >>Dabei darf man aber auch nicht vergessen, dass es sehr schwer ist 
> >>(didaktisch) gute Beispiele zu finden; das kann manchmal schwerer sein 
> >>als eine formale Definition zu nennen.
> 
> >In dem Fall ist es doch erst recht wichtig, diesen Aufwand zu treiben.
> 
> >Außerdem passt es doch super in das Hacker-Cliché: Lieber viel
> >nachdenken und wenig schreiben als andersrum. So gesehen müsste
> >es in der OpenSource-Welt viel mehr Beispiele zu den Libs geben.
> 
> Hmm. Und was hat das eine mit dem anderen zu tun? Es ging um Mathematik 
> und Informatik als Wissenschaften, nicht um OpenSource.

Es ging um gut dokumentierte Software. Das ist sowohl in den
Wissenschaften als auch im OpenSource wichtig. Und auch in der Software-
Industrie.

> Und ich für meinen Teil würde dabei nicht pauschal sagen, dass man immer 
> Beispiele braucht statt formaler Definitionen.

Nicht statt, aber in Ergänzung.

Mein Vorschlag war ja nur, dass sie sich bei den Formalitäten nicht
die Finger wund tippen sollen, wenn man gewisse Details an Beispielen
viel weniger "wortreich" erklären kann. Außerdem kann eine formale
Definition jederzeit nachgereicht werden. Aber Randfälle laufen Gefahr,
vergessen zu werden.

Daher mein Vorschlag für OpenSource-Projekte, erstmal in der Doku
die Beispiele zu bringen, am besten noch automatisch mit testen
lassen. (z.B. in Python: doctest)

> Es hängt u.a. vom 
> Zielpublikum ab. Wenn ich zum Beispiel eine solide mathematische 
> Grundausbildung habe, dann ist für mich in der Physik die formale 
> Definition von Arbeit als Integral völlig ausreichend und schlüssig; 

Da hast du das Problem aber nur verschoben. Ich gehe jede Wette ein,
dass du die Definition des Integrals nicht nur formal eingetrichtert
bekommen hast. Und dass du nicht den Hauch einer Chance hättest, sie
wirklich zu verstehen, wenn du nicht die Anschauung der
Flächenbestimmung unter einer Kurve hättest.

Aber du weist auf einen wichtigen Punkt hin, den ich vergessen habe:
Nicht nur Beispiel dienen der Veranschaulichung, sondern auch Analogien
und bereits verstandene (veranschaulichte) Konzepte. Ich vergaß, dass
man ja auch auf vorhandene Anschauungen aufsetzen kann. Danke für den
Hinweis.

> >>Und IMHO kann man mit schlechten Beispielen mehr kaputt machen als mit 
> >>einer formalen Definition als erster Einstieg.
> 
> >Diese Kombinantion kenne ich gar nicht. Ich kenne das eher so, dass
> >schlechter Text statt schlechter Beispiele vorliegt.
> 
> Ich habe schon oft erlebt, dass man durch ungünstige Beispiel 
> Betonblöcke im Kopf aufbaut, die man dann schwer los wird.

Die Alternative wäre, gar keine Vorstellung zu haben. Dann ist die
Blockade aber noch größer.

Es gibt jedoch den interessanten Ansatz, dass sich die Leute selbst
ihre Vorstellung machen sollen. Also, dass man zwar formale Beispiele
gibt, aber bewusst auf Skizzen/Grafiken verzichtet. So geschehen bei
uns im ersten Semester, Analysis I, als es um metrische Räume und z.T.
um Topologie ging.

Das ist didaktisch gesehen in einer Uni gut so, weil Studenten dann
unterschiedliche Anschauungen entwickeln, die sie gegenseitig
austauschen können. Und weil das Lernen dann aktiver vonstatten
geht. Ganz auf Beispiele verzichten kann man aber IMHO nicht.

> Wenn man zum 
> Beispiel nur zusammenhängende Graphen vorstellt und der eine oder andere 
> es plötzlich mit einem nicht-zusammenhängendem zu tun hat, kommen die 
> ersten Kommentare ala "Das hat uns keiner gesagt".

Macht man gar keine Skizzen, sehen sich die Studenten mit komischen
Mengen konfrontiert, und kommen gar nicht in die Gänge. Ich fände
es in der Uni wie in der Software-Dokumentation viel sinnvoller, durch
Beispiele die Randfälle abzudecken. Auch bei einer formalen Definition
können diese leicht übersehen werden.

Konkret in dem Beispiel: Graph mit Schlafen, einen mit Mehrfachkanten,
einen unzusammenhängenden, einen mit isolierten Knoten, u.s.w. hinmalen
kann von einem Dozenten doch nicht zu viel verlangt sein.

Zudem ist es didaktisch auch ganz klug, über die Beispiele mit positiven
und negativen Randfällen ("Das hier ist kein Graph") zunächst ein
intuitives Verständnis zu entwickeln. Danach kann man, ggf. gemeinsam
mit den Studenten, formale Definitionen erarbeiten.

Der Sinn und Zweck einer formalen Definition, also das Warum, und wie
könnte es noch gehen, und warum wählt man gerade *diesen* Formalismus,
das sind auch alles wichtige Fragen. Bekommt er sie nicht vermittelt,
muss sich ein Student diese Fragen selbst beantworten. Sonst erlangt
er kein tieferes Verständnis, das er aber spätestens in der Prüfung
braucht.

> Wenn man dagegen eine 
> formale Definition hat (s.o.: Zielpublikum), dann kann das mehr als 1000 
> Worte sagen.

Du meinst, mehr als 1000 Beispiele. :-)

Und ja, natürlich. Das macht die formale Definition wichtig, aber die
Beispiele nicht entbehrlich.


Viele Grüße,

    Volker

-- 
Volker Grabsch
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