[linux-l] "here"-Links und Benutzerfreundlichkeit (war: www.linuxwiki.de/LugBerlin - "nicht mehr editieren"?)

Volker Grabsch vog at notjusthosting.com
So Jan 21 10:31:12 CET 2007


On Sat, Jan 20, 2007 at 11:14:42PM +0100, Jörg Schmidt wrote:
[Umständlicher Ja/Nein-Dialog in OpenOffice]
> Ich bin zwar nicht Sun, aber ich glaube nicht das Sun (welche Tests
> durchgeführt haben und weitere Überlegungen angestellt haben) gerade
> diesen Dialog nicht geändert hätten wenn er denn unter Praxsbedingungen
> als falsch/ungünstig/mißverständlich erschienen wäre.

Ich denke, er ist einfach "gut genug". Genauso wie "here"-Links.

Es ist unterhalb der Schmerzgrenze, und solche Texte zu vereinfachen
wäre viel mehr Aufwand als nutzen.

Ich bin zwar auch nicht Sun, aber schon beim ersten Mal, als ich
dieses Dialogfeld sah, war mir klar[1], dass dies einen technischen
Grund hat.

Stell dir vor, du bist Webdesigner und hast einen Editor, der mit einem
Knopfdruck einen "here"-Link einfügen kann. Ein normaler Link hingegen
ist eher umständlich. Dann würdest du von vornherein viele "here"-Links
produzieren und bei Missverständnissen eher den Text drumherum ändern
als den Link.

OpenOffice hat eine interne API, die Ja/Nein- und OK-Dialoge viel
leichter gestalten lässt als einen Dialog mit variablen Buttons,
richtig? [1]  Daher *fängt man schon falsch an*, wenn man mal schnell
den User eine Frage stellen will. Statt die uralten GUI-Richtlinie zu
beherzigen, Ja/Nein-Fragen zu vermeiden, formuliert man gerade solche.
Entpuppt sich diese Frage (wie zu erwarten) als schlecht, wird lieber
der Text aufgebläht statt dem Dialog ordentliche Buttons zu verpassen.

Für die Win32-API gilt das übrigens genauso, und darin vermute ich
die *eigentliche* Ursache dieses grundsätzlichen Phänomens unter
Windows.

Dass dies nicht geändert wurde, hat natürlich keinen technischen Grund,
sondern liegt einfach ein Bequemlichkeit und daran, dass es "gut genug"
ist.


[1] Vielleicht irre ich mich auch. Manchen ist auch "klar",
    dass 0,999.. < 1, obwohl Gleichheit gilt.

[2] Im Gegensatz zu z.B. GTK+, wo eine Vielfalt von Buttons sogar
    explizit durch die API bequem gemacht wird, d.h. man kann den
    Buttons einer Message-Box nicht nur ganz leicht eigene Bezeichnungen
    geben, sondern hat eine reiche Auswahl an Standard-Buttons, kriegt
    also Übersetzungen und schicke Icons gleich mitgeschenkt.    

> Gerade mit Einführung der 2.0 hat es gravierende Änderungen bei der GUI
> gegeben um die Attraktivität und Verständlichkeit für Umsteiger zu
> stärken.
[...]
> es heißt das der durchschnittliche MS Windows/ MS Office User(**) sich
> inzwischen daran gewöhnt hat und deshalb erwartet, dass
[...]
> Nein, mit Logik hat das (auch meiner Meinung nach) nichts zu tun, nur es
> wird erwartet.

Diese Theorie klingt ebenfalls plausibel. Jedoch klingt sie mehr wie
eine Ausrede seitens der GUI-Entwickler, um zu rechtfertigen, dass man
mit reinen "Ja/Nein"-Dialogen wunderbar auskommt, also die interne API
nicht verbessern braucht.

> (**)
> und den triffst Du im Allgemeinen nicht in Foren oder auf Mailinglisten

Meine Erfahrungen beziehen sich auch auf das RL, nicht auf Berichte
in Foren und Mailinglisten.

> Und ich bin ganz Deiner Meinung insoweit das ich es genauso machen würde
> wie Du vorschlägst, *wenn* der durchschnittliche User so reagieren würde
> wie Du denkst das er doch eigentlich reagieren müßte.

Gut, meine Erfahrung bezog sie auf "echte" Anfängern, und nicht auf
MS-Windows-konditionierte Benutzer.

> Du hast von der Begründung also auch in meinen Augen völlig recht, ich
> teile sie somit, nur halte sie in Praxis nicht für zutreffend.
> Nicht zutreffend für die relevante Zielgruppe, also die Nutzer die durch
> MS schon zu 'schlechten Gewohnheiten' verführt sind. Wenn die relevante
> Zielgruppe völlige Computerneulinge wären, läge das deutlich anders.

Ich denke trotzdem, dass etwas mehr Selbstvertrauen nicht schaden würde.
Hätte ich in Sun etwas zu sagen, würde ich in StarOffice diese Dialoge
drastisch vereinfachen *und* damit werben. Ich würde die umständlich
nervig zu lesenden Dialogfelder drastisch vereinfachen und denen von
MS-Office gegenüber stellen. Einfach nur nebeneinander halten, das sagt
schon genug über Benutzerfreundlichkeit aus.

Um den Nicht-Lesen-Nur-Klicken-Wahn zu unterbinden, würde ich dem
"Altes Format"-Button ein hässliches rotes Icon und dem "Neues Format"-
Button ein einladenes grünes Icon geben. Den grünen natürlich an erste
Stelle und voreingestellt, damit der User sich per Default nichts
zerschießt.

Zu viel Aufwand? Dann interne API verbessern, und etwas bei GTK+
schmulen. ;-)

> ... habe jedoch im 'realen' Leben (neben meiner ehrenamtlichen Arbeit
> für OOo) meine eigenen Erfahrungen (dadurch das ich Migrationsberatung
> (MSO-->OOo) mache) gesammelt, stehe als Buchautor in Kontakt mit meinen
> Lesern, und kann für Beides nur sagen: Beschwerden zu OOo hörte ich
> bisher Etliche, nur noch nicht eine über diesen Dialog.

Das muss noch nichts heißen. Ich führe mal aus, was ich mit "gut genug"
meinte:

Ich traue gerade dem Normalbenutzer nicht zu, *genau* zu wissen, was er
braucht. Sicher, er weiß es grob. Und nicht selten scheitern Produkte
daran, allein diese "groben Ansprüche" in Erfahrung zu bringen.

Aber im Detail haben die meisten User den Drang, alles komplizierter zu
machen, als gut für sie ist. Aus genau dem selben Grund, aus dem ein
Programmier-Anfänger unnötig komplizierten Code schreibt. Oder ein
Administrator-Anfänger ein unwartbares Serversystem aufsetzt.

Der Hauptgrund ist IMHO mangelnde Kreativität. Aber das trifft auf alle
Menschen zu. Niemand wäre in der Lage, aus dem Stand heraus all die
guten Ideen unserer Vorfahren und Mitmenschen nochmal zu erfinden. Aber
das ist auch gar nicht nötig, die Geheimwaffe lautet:

Erfahrung. Genau genommen mangelt es also an Erfahrung, nicht an
Kreativität. Je mehr und je unterschiedlichere Dinge man gesehen hat,
umso reichhaltiger ist das Repertoire an Ideen, die einem zur Verfügung
stehen, um ein Problem zu lösen. Eine schon bekannte Idee leicht abzuwandeln
ist viel leichter, als alles neu zu erfinden. Selbst wenn man etwas neu
erfinden muss, hat man bei einem größeren Erfahrungsschatz viel mehr
Quellen für eine Inspiration. Obwohl andererseits ein zu einseitiger
Erfahrungsschatz kontraproduktiv ist.

Will sagen, bis zu einer gewissen Schmerzgrenze merkt ein Normaluser
nicht, dass sein System viel besser sein sollte. Er hat einfach keinen
Vergleich, und kommt gar nicht auf die Idee, dass dieses oder jenes viel
besser sein könnte. Er ist zu sehr auf das vorgegebene System konditioniert.

Das muss er auch nicht wissen. Das ist die Aufgabe des UI-Designers bzw.
des Programmierers. Der muss dem Benutzer nicht nur zuhören, sondern ihn
beobachten. Er sollte nicht nur auf die Dinge achten, die den Benutzer
zur Weißglut treiben, sondern auch auf die, bei denen der Benutzer
strauchelt, ohne dass es ihm bewusst ist.

Viel weniger Aufwand, und genauso effektiv den Benutzer ruhig stellend,
ist es, ihm ein schlechtes Gewissen zu machen. Gilt für Uni-Aufgabentexte,
Webseiten und auch für Dialogfenster: Man könnte es leichter verständlich
und übersichtlicher machen. Das erfordert aber viel Zeit, Mühe und Erfahrung.
Oder man bläht es immer weiter auf. Das macht es dem Benutzer zwar noch
schwerer, aber er kann sich nicht mehr beschweren, denn "es stand ja da."
Er wurde sogar "ausführlich davor gewarnt". Welch Widerspruch in sich,
denn eine langatmige Warnung ist viel weniger wert als eine kurze
prägnante.

Tappt der Benutzer in die Falle, kann er sich bei niemanden beschweren.
Er kommt sich dumm vor, hat vielleicht (fälschlicherweise) Schulgefühle,
und beschwert sich deshalb nicht. Das meine ich mit "gut genug". Das
Problem wird verschlimmert, aber es gibt weniger Beschwerden.

Mag sein, dass ich mich da irre, du hast sicher mehr Erfahrung damit.
Ist mein Eindruck korrekt, oder belegen deine Kundengespräche etwas
anderes?


Viele Grüße,

    Volker

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