[linux-l] GPLv3 erschienen

Volker Grabsch vog at notjusthosting.com
So Jul 8 21:18:16 CEST 2007


On Sun, Jul 08, 2007 at 04:28:12PM +0200, Jörg Schmidt wrote:
> > Erst zusammen mit der neuen GPLv3 geriet er mit in die Diskussion,
> > IMHO völlig zu unrecht.
> 
> Naja OK ich kann das akzeptieren, mich irritiert nur ein wenig Deine
> Wortwahl ("zu unrecht"; "reaktionär"),
[...]
> niemand (ich meine die die es betrifft) sich früher Gedanken
> gemacht hat und erst jetzt [...] werden sich Einige der Wirkung bewußt.

Ja, du hast recht, hab ins Lexikon geschaut, falsche Wortwahl. Ich
meinte eigentlich "eine lange Leitung haben", "zu spät reagieren",
"erst dann etwas tun, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist".

Ich wusste nicht, dass "reaktionär" eine konvervatik/rechts-politische
Nebenbedeutung hat. Das war natürlich nicht gemeint. Tut mir leid für
die Verwirrung.

> > Worin genau bestanden diese falschen Annahmen? Zu welchen falschen
> > Annahmen hat dich dieser Standard-"GPLv2 or later"-Passus verleitet?
> 
> Also ich habe mit OpenSource vor etwa 4 Jahren angefangen. Ich denke Du
> wirst mir zugestehen das ist schon Neuland und vor allem Lizenzen sind
> dann Neuland.

Meine ersten Kontakte mit freier Software sind auch erst 6 Jahre her.

> In dieser Situation fragt man halt die anderen wenn man
> erstmalig eine Lizenz praktisch anwendet und die haben mir gesagt ich
> müsse es so formulieren und ich wußte garnicht das ich auch hätte 'only'
> formulieren können.

Das stimmt auch zum Teil, weil diese 'only'-Umformulierung nicht im
Sinne des Erfinders ist, erst recht nicht bei der LGPL.

> Und unter diesen Bedingungen war es dann einfach
> eine Abwägung für mich, die pro OSS ausging.

Du hast pro/contra OSS an der GPL ausgemacht? Hast du dir keine BSD-
artigen Lizenzen angesehen, oder dich mit Public Domain auseinander
gesetzt?

> Mich hat der Passus zu der Fehlannahme verleitet das für den
> ursprüngliche Code immer beispielsweise GPL2 gelten müsse, das ist ja
> auch so, aber ich nahm an das deswegen die freiwillige Wahl von GPL3
> ohne Einfluß wäre.

In gewisser Weise stimme diese Annahme sogar, wenn man die GPLv2 und
GPLv3 als "gleichwertig" ansieht (andere Formulierung des gleichen
Grundgedankens), und die GPLv3 sogar als Verbesserung der GPLv2 ansieht.

Und ja, diese Annahmen werden in der Tat vom GNU-Projekt suggeriert,
genauer gesagt ist das sogar ihr Anspruch an die GPLv3 und höhere
Versionen.

Ob das GNU-Projekt diesen Ansprüchen tatsächlich gerecht wird, kann
natürlich jeder anders beurteilen. Du teilst die suggerierte Annahme
offenbar nicht, dass die GPLv3 auf jeden Fall besser als die GPLv2 ist.
Habe ich das richtig verstanden?

> Nö, das ist jetzt keine Kritik - Du fragtest nach meinen Annahmen und
> diese waren (leider) so.

Ja, vielen Dank für die Ausführungen. Ich hoffe, ich habe dich richtig
verstanden.

Bei mir ist das etwas anders. Wenn ich für ein Projekt die GPL wähle,
dann nicht wegen dem konkreten Wortlaut der GPLv2 oder v3. Nein, ich
wähle sie, weil ich die Grundhaltung des GNU-Projektes in diesem Fall
für sinnvoll erachte. Ich gehe davon aus, dass das GNU-Projekt seine
Ideale in der GPLv3 klarer ausdrückt als in der GPLv2 (sonst hätten sie
ja nichts überarbeiten brauchen), und aus diesem Grundvertrauen heraus
wählte ich eine "GPLv2 or later", und werde zukünftige Projekte unter
"GPLv3 or later" stellen.

Nunja, nicht alle Projekte, aber diejenigen, bei denen ich das GNU-
Lizenzkonzept für sinnvoll erachte.

> > Ich habe den Eindruck, dass du eine Niere herausoperieren willst, weil
> > du sie für den Blinddarm hältst.
> 
> Richtig, ***ich*** habe ja mehrfach betont das ***ich*** mich geirrt
> habe, warum willst Du mich davon überzeugen, ich bin von meiner
> Eigenschuld längst überzeugt.

Du hast mich falsch verstanden.

> > Ja, aber es hat einen ganz bestimmten Grund, warum er so formuliert
> > ist,
> 
> Na den erkläre mir mal. Es ist möglich 'GPL2 and later' zu lizensieren
> und 'GPL2 only', was wäre denn nun daran ein Verbrechen wenn beide
> Möglichkeiten ausformuliert dastünden?

Es wäre kein Verbrechen, aber es wäre nicht im Sinne der Erschaffer
der Lizenzen.

Natürlich kannst du auch direkt *in* der GPL noch Änderungen vornehmen,
und eine völlig eigene Variante davon als Lizenz nehmen (darfst sie
nur nicht GPL nennen ;-)).

Du hast dem GNU-Projekt vorgeworfen, dass sie nicht verschiedene
Varianten nebeneinander halten. Aber das kann man IMHO nicht vorwerfen,
weil die "GPLv2-only"-Variante vom GNU-Projekt nie vorgesehen wurde
und in keiner Weise empfohlen wird.

Du kannst doch nicht vom GNU-Projekt erwarten, auf etwas besonders
hinzuweisen, das nicht im Sinne seiner Lizenzen ist. Die Aufwärts-
kompatibilität der GNU-Lizenzen ist ein wesentlicher Bestandteil
ihres Konzeptes. Sie werden ganz sicher keine Option dagegen halten,
die dieses Feature nicht hat - das wäre einfach nicht in ihrem Sinne.

Da könntest du genauso verlangen, dass der Hersteller eines Automotors
erklärt, die man den Motor so weit tunen kann, dass er doppelt so
schnell fährt, aber nach 3 Monaten kaputt ist. Das mag vielleicht
gehen, ist aber nicht im Sinne des Herstellers. Daher kann man ihm
nicht vorwerfen, dass er diese Möglichkeit "verschwiegen hat".

Genauso geht es dem GNU-Projekt: Würden sie das hier machen:

> Also i.S.:
> 'Sie haben die Möglichkeit Ihren Code entweder unter eine bestimmte
> Version dieser Lizenz zu stellen, hierfür können sie folgenden Text
> verwenden: ...
> Oder Sie stellen Ihren Code unter eine bestimmte Version und alle
> Folgeversionen, hierzu können sie beispielsweise folgenden Text
> verwenden: ...'

dann würden die einige Projekte dazu ermutigen, Software zu schreiben,
die in zukünftige freie Software nicht mehr eingepflegt werden kann,
weil diese GPLv3 oder GPLv4 sein werden. Solch eine Spaltung ist nicht
im Sinne des GNU-Projektes, und daher empfehlen sie natürlich nur die
aufwärtskompatible Variante, die "GPLv2 or later".

Ich frage mich eher, wieso sie den "GPLv2 or later"-Passus nicht direkt
in die GPL mit reingeschrieben haben, so wie sie es bei der LGPL getan
haben.

Dieses "GPLv2-only" ist in gewisser Weise ein böser Hack. Es geht
zwar, ist aber vom Erschaffer in keiner Weise gewollt.

> Dann wäre Beides klar (für so dumme Leute wie mich) und es könnte ja
> zusätzlich unterstehen: 'Die FSF empfiehlt Ihnen die zweite Möglichkeit
> weil ...'

Ja, aber das GNU-Projekt hält die "GPLv2"-Variante nicht nur für
"nicht empfehlenswert", sondern für eine sehr, sehr schlechte Idee.
Wieso sollten sie in irgendeiner Weise dazu ermuntern? Das kannst du
doch nicht ernsthaft von ihnen erwarten?

Das ist, als ob ich (als Selbstständiger) einen Kunden darauf hinweise,
dass ich es hinnehmen würde, wenn er die Rechnung nicht bezahlt, weil
der Betrag so klein ist. "Ich empfehle, die Rechnung dennoch zu bezahlen,
weil ...".

Das macht doch keiner, und das kannst du von niemanden erwarten. Du
kannst nicht vom GNU-Projekt erwarten, auf eine Option hinzuweisen,
die (aus ihrer Sicht) extrem schädlich für freie Software ist.

Da könntest du genauso monieren, dass die BSD-Lizenzen nicht darauf
hinweisen, dass man auch die GPL nehmen könnte, oder dass die CC-
Lizenzen nicht auch auf BSD und GPL hinweisen.

> > Denn da gibt es nicht nur den "LGPLv2.1 or later"-Hinweis im Sourcecode,
> > sondern auch noch einen entsprechenden Passus direkt *im Lizenztext* der
> > LGPL:
> 
> Dieser Passus betrifft IMHO das 'Neulizensieren' von LGPL auf GPL und
> nicht verschiedene LGPL-Versionen. Dieser Möglichkeit war ich mir immer
> bewußt. Wenn ich LGPL wähle kann ich sie aber nicht ausschließen und sie
> ist praktisch auch keine 'Gefahr'.

Das verstehe ich nicht.

Egal, ob du ein "GPLv2-or-later"-lizensiertes Projekt hast, oder
ein LGPL-Projekt: Wenn jemand GPLv3-Code dazu packt, dann ist das
Ergebnis ein GPLv3-Projekt.

Also wo ist da der Unterschied? In beiden Fällen hast du die gleiche
'Gefahr'.

> > Das GNU-Projekt vertritt nunmal den Standpunkt, dass freie Software
> > im Zweifelsfall lieber tot als proprietär werden sollte.
> 
> Was soll ich darauf antworten, einerseits ist es wohl so, aber wäre es
> nicht gut wenn wir das wissen und es trotzdem nicht in dieser
> provokanten Form formulieren würden?

Natürlich. Aber wenn dich diese Ansicht stört, nimm besser keine
GNU-Lizenzen, denn die sind sehr exakte Formulierungen dieses
Grundgedanken, sie sind quasi daraufhin "optimiert".

> > Mit anderen Worten: Wenn dieser gut sichtbare "GPLv2 or later"-
> > Passus schon zu viel für dich ist, dann ist das ganze GNU-Lizenz-
> > Konzept wahrscheinlich nichts für dich. Weder LGPL noch GPL.
> 
> Verstehe ich nicht, 'LGPL<x> only' oder 'GPL<x> only' sind zulässig

Naja, 'LGPL<x> only' ist effektig ein "LGPL or GPL or later" aufgrund
des Lizenztextes. :-)

Und 'GPL<x> only' ist zufällig möglich, genau wie du deine eigene
Variante der LGPL entwickeln könntest, die keine Verschärfung zu
GPL oder späteren Versionen erlaubt. Klar, das funktioniert und ist
"zulässig", aber es ist nicht im Sinne des GNU-Projektes.

> Oder anders gesagt, wenn eine Lizensierung 'only', dem eigentlichen
> Geist von GPL oder LGPL zuwider liefe, wäre es richtig diese Möglichkeit
> in den Lizenzen explizit zu verbieten,

Bei der LGPL passiert das ja, weil sie diesen Passus auch in ihrem
Lizenztext mit drinnen trägt.

In der GPL hingegen ist kein solcher Passus. Wahrscheinlich deshalb,
weil das GNU-Projekt davon ausgegangen ist, dass eh keiner diesen
Quatsch machen wird. Deren Fehler. ;-)

> da dieses Verbot nicht besteht
> scheinen mir 'later' und 'only' i.d.S. gleichwertig und Frage der
> persönlichen Entscheidung.

Aus Sicht des GNU-Projektes definitiv nicht. Daher auch kein expliziter
Hinweis darauf.

> Ich denke deshalb es kann bei jeder Lizenzänderung, bezogen auf den
> Einzelnen, die Situation eintreten das er mit einer Version zufrieden
> ist und mit einer anderen nicht.

Richtig, aber gerade weil hier die Meinungen auseinander gehen können,
sollte ein Projekt die Option des "Upgrades" der Lizenzversion nicht
kategorisch ausschließen, was bei einer "GPLv2-only"-Version aber
faktisch der Fall wäre (finde mal alle alten Entwickler und frage
sie, ob sie auch mit GPLv3 einverstanden wären). Der einzige Weg,
sich und zukünftigen Maintainern diese Option nicht zu verbauen, ist
nunmal die "GPLv2-or-later"-Klausel.

Ich persönlich sehe das "v2-or-later" so: "Mag sein, dass ich mit der
einen oder anderen Passage der GPLv3 oder GPLv4 nicht ganz einverstanden
sein werde, aber vertraue dem GNU-Projekt soweit, dass die Lizenz im
großen und ganzen meinen Interessen entspricht, und dass die GPLv3 nicht
nur schlechter, sondern in Teilen auch besser sein wird als die v3. Wenn
ich in Zukunft noch aktiv daran mitarbeite, kann ich das mit den anderen
Entwicklern in Ruhe diskutieren (v2-only wäre also unnötig). Sollte ich
aber nicht mehr dabei sein, überlasse ich diese heikle Frage den
zukünftigen Entwicklern meines Projektes, und will sie da nicht
blockieren (v2-only wäre also schädlich)."

Will sagen, im Zweifelfall dürfte eine "v2-only"-Klausel mehr Schaden
anrichten als Nutzen. Das hat Stallman schon damals (IMHO richtig)
erkannt, und entsprechend überall "v2-or-later" empfohlen.

Gerade *weil* die GNU-Lizenzen so "scharf" sind, braucht man gewisse
Flexibilität in ihrer Wahl. Sie müssen zueinander kompatibel bleiben,
zumindest aufwärtskompatibel, sonst riskiert man unnötige Spaltungen.
Und genau diese Aufwärtskompatibilität garantiert der "v2-or-later"-
Passus.


Gruß,

    Volker

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Volker Grabsch
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