[linux-l] Freie Software per Gesetz?

Volker Grabsch vog at notjusthosting.com
Sa Jul 21 19:55:40 CEST 2007


On Sat, Jul 21, 2007 at 04:12:02PM +0200, Jörg Schmidt wrote:
> Oh ja, es gibt IMHO einen sehr großen Unterschied zwischen einer
> Community bei der alle gleichermaßen 'Geber' und 'Nehmer' sind (=freie
> Software) und einer Community wo nur manche noch 'Geber' sind und alle
> anderen 'Nehmer' (=Wohltätigkeit einiger für viele andere).

Na, das ist aber ganz schön idealisiert und wird von der GPL in keiner
Weise sichergestellt. Auch bei freier Software besteht die Masse aus
"Nehmern", nämlich reinen Anwendern. Die GPL stellt lediglich sicher,
das sich das "Nehmen" auf das Nutzen, Anpassen und Weiterverkaufen
beschränkt. Erst, wenn man noch "mehr" nimmt (nämlich Code für eigene
Projekte), muss man laut GPL auch mehr zurück geben (nämlich seinen Code
GPL-lizensieren).

Ich würde sogar behaupten, das mit den Gebern und Nehmern ist genau
andersrum:

Freie Software funktioniert als Wirtschaftsmodell so, dass jeder
einzelne viel weniger gibt als er nimmt. Ich nutze ein komplettes
Betriebssystem mit vielen Anwendungen, das ist nichts im Vergleich
zu den paar freien Projekten, die ich mache bzw. denen ich helfe.
Und die Masse an Usern wird noch viel weniger in den Pool zurückgeben.

Bei proprietärer Software hingegen, als Wirtschaftsmodell gesehen,
gibt jeder mehr zurück, als er nimmt. Jeder einzelne User zahlt
seinen Teil der Entwicklungskosten. Ja, sogar mehr, sonst würde
die Softwarefirma keinen Profit machen. Oder der User lässt
Werbung über sich ergehen, oder ist zu irgendeiner anderen Gegen-
leistung gezwungen, sonst kann man sie nicht einmal nutzen. Selbst
Freeware kann man zwar ohne Gegenleistung nutzen, aber man kann sie
nicht studieren oder für eigene Zwecke modifizieren, das ist - je
nach Autor - unter Umständen sogar sehr teuer bis unmöglich.

Dass es "genau andersrum" ist, ist übrigens kein Nachteil von FOSS,
sondern das, was es als Wirtschaftsmodell interessant macht: Es wird
weniger gegeben als genommen, aber dafür kann jede geleistete Arbeit
fast aufwandslos vervielfältigt werden. Wie in einer Mailingliste:
Jeder schreibt insgesamt viel weniger, als er liest.

> Das was stimmen muß ist das
> Verhältnis von Leuten die Anwender und Programmier sind [...],
> von Leuten die nur Anwender sind und von Leuten die [...] nur
> Programmierer sind.[...]
> Bei klassischer freier Software stimmt dieses Verhältnis immer,

Bei großen Projekten vielleicht, bei kleinen Projekten ganz sicher
nicht.

Es sei denn das Projekt ist so klein und unbekannt, dass es nur
von den Autoren selbst benutzt wird. Dann stimmt das Verhältnis
wieder. ;-)

Im Gegenteil, es ist sogar eines der größeren Missstände von FOSS,
dass es so viele kleine Projekte gibt. Es macht ja viel mehr Spaß,
was eigenes zu bauen als sich in ein vorhandenes Projekt einzuarbeiten
und dort was beizusteuern.

Sicher sind die Projekte z.T. auch selbst dran schuld, wenn ihre
Doku nicht gut genug ist, um Neulinge an Board zu holen. Aber den
anderen Teil des Problems steuern die Neulinge bei, die nicht einmal
recherchieren, ob es sowas ähnliches wie ihr Projekt vielleicht schon
gibt. Viel zu viele starten einfach so ein Projekt, in der blauäugigen
Annahme, es werde in Nullkommanix berühmt, weil es so cool ist, und
dass die Antworten von Anwendern oder Hilfsangebot anderer Programmierer
von ganz allein kommen. Aber wie können sie das ernsthaft glauben, wenn
sie nicht einmal selbst dazu bereit sind?

Naja, zu dem Thema gibt es ja genug Artikel im Netz. Im Prinzip wird
jedem Anfänger empfohlen, erstmal einem anderen Projekt was
beizusteuern, bevor er sein eigenes startet, aber wer hält sich schon
daran? Hab ich damals übrigens auch nicht. *-)

Der Normalfall für ein neues Projekt ist jedenfalls, dass erstmal
gar keine Resonanz kommt, und man froh sein kann, wenn es überhaupt
von mehr als 100 Leuten runtergeladen wird. Es braucht schon viel
Zeit und Glück, bis überhaupt ein Anwender das Projekt so cool findet,
dass er den Autoren ein Dankeschön sendet. Geschweige denn Bugreports
macht, oder sogar *gute* Bugreports, oder gar Bugfixes oder neue
Übersetzungen. Aber dass dann auch noch jemand Doku schreibt oder andere
substanzielle Teile beisteuert, das kann man vergessen, es sei denn,
man hat etwas *wirklich* herausstechendes gemacht.

Aber wenn es noch 'zig ähnliche kleine Projekte gibt, die ebenfalls
nicht über ihren Tellerrand sehen, dann wird der Effekt nur verschärft.

> Wenn nun aber freie Software 'zu' erfolgreich wird gibt es potentiell
> immer mehr Anwender und immer weniger von diesen Anwendern sind auch
> gleichzeitig fachkundige Programmierer,

Eher andersrum: Ein großes Projekt findet leichter Programmierer unter
seinen Anwendern als ein kleines. Mag sein, dass der prozentuale Anteil
geringer wird, aber was nutzt das schon, wenn man unter seinen 5
Anwendern 20% Programmierer hat - nämlich sich selbst. ;-)

Nein, ein Projekt, das 'zu' erfolgreich ist, beginnt sogar, sich gegen
äußere Kontributionen abzuschotten, weil die Entwickler schon genug
mit sich selbst beschäftigt wird. Ich denke nicht, dass Projekte wie
OpenOffice oder Firefox zu wenige Programmierer haben[1], oder gar zu
viele (reine) Anwender.

Nein, das interessantere Verhältnis ist doch wohl:

           Codegröße
    -----------------------
    Anzahl d. Programmierer

und nicht:

       Anzahl d. Anwender
    -----------------------
    Anzahl d. Programmierer

> das kann dann bei "Fremdauftrag"
> dazu führen das es nur noch beauftragte Programmierer gibt und niemand
> sonst noch an der Software selbst arbeitet (über das Wissen verfügt das
> zu können) obwohl die Lizenz das einwandfrei zuließe.

Das passiert auch so schon. Ist sogar der Regelfall, aus oben genannten
Gründen.

> es gibt nur noch die Prüfung der beauftragten
> Programmierer bei der man untzerstellen darf sie ist genauso gut oder
> schlecht wie bei properitärer Software.
> Diese Effekte treten aber nicht erst dann ein wenn es im Wortsinn
> Niemanden mehr gibt der die Software (unabhängig von den Beauftragten)
> prüft, sondern schon viel früher, nämlich dann wenn der Anteil der
> Programmierer innerhalb der Gruppe der Anwender ein bestimmtes Maß
> unterschreiet.

Hast du irgendwelche Belege für diese Aussage? Das erscheint mir
persönlich nämlich an den Haaren herbei gezogen.

Nicht, dass mir Zahlen zur Verfügung stünden, die das Gegenteil belegen.
Aber deine Kausalkette ist für mich nicht schlüssig, da sie von vielen
fragwürdigen Annahmen ausgeht. (von denen ich weiter oben etliche
kritisiert habe)

> Tja und zu diesem und anderen Problemen muß freie Software zukünftig
> Lösungen finden.

Ich denke, das großte Probleme ist nach wie vor, dass die "unangenehmen"
Dinge nicht oder nur schlampig gemacht werden.

Dabei kann es auch Spaß machen, Dokus zu schreiben. Genauso wie es
ein sehr schönes Gefühl ist, einem anderen Projekt was beizusteuern,
vielleicht sogar so viel, dass man mit auf die Autorenliste kommt.

Aber leider dominiert nach viel vor das Gefühl, dass Coding die
'eigentliche Arbeit' sei, dass ein fertiges Programm besser sei als
ein gut dokumentiertes halbfertiges. Und dass es viel cooler und
einfacher sei, etwas selbst zu machen, statt sich in andere Systeme
einzuarbeiten und dort was beizusteuern.

Das muss sich an zwei Stellen ändern. Zum einen sollte man Neulingen
viel deutlicher erklären, dass das Einarbeiten in und verbessern von
anderem Code insgesamt Arbeit spart(!). Und wenn nicht, kann man
immer noch sein eigenes Projekt starten, hat aber nun viel bessere
Voraussetzungen und Erfahrungen gesammelt, um es *wirklich* besser
zu machen. Auch das konsequente Mitschreiben von Doku, Testfällen, etc.
neben dem Programmieren spart letztendlich Arbeit, selbst wenn man es
nur allein für sich macht.

Zum anderen müssen die Projekte es Neulingen leichter machen, einen
Einstieg zu finden, also entsprechende Dokus/Tutorials anbieten, ihre
Doku-Schreiber viel mehr motivieren, und ihre Programmierer weniger
überbewerten. Vielleicht sogar knallhart durchsetzen, dass nichts
programmiert wird, was nicht mindestens rudimentär dokumentiert wurde[2],
also Patches für neue Feature nur mit entsprechendem (brauchbaren!) Doku-
Eintrag angenommen werden.

Und ebenfalls ganz wichtig: Riguros alle schlechten, veralteten und
trivialen Doku-Einträge streichen. Niemand sollte sein "schlechtes
Doku-Gewissen" dadurch beruhigen können, dass er die Doku um formale,
wiederkehrende Zeichenketten aufbläht. ("Während Sie den Menüpunkt
'Feature X' aus, um 'Feature X' zu aktivieren" ... *kotz*) Sowas ist
IMHO viel schlimmer als eine Doku, deren Lücken man sofort sieht.


Das sind die Punkte, rein pragmatisch gesehen, an denen die freien
Projekte noch kranken. Und ich will nicht abstreiten, dass diese
Kritik zum Teil auch auf meine eigenen Projekte zutrifft.

Dass freie Software in Zukunft vielleicht mehr mit kommerziellen
Interessen als durch "klassische" freie Projekte entwickelt wird,
sehe ich hingegen nicht als großes Problem. Im Gegenteil! Gäbe es
statt der vielen proprietären Software nur noch kommerzielle freie
Software, und gäbe es keine Softwarepatente mehr, wäre die SW-Welt
um einiges weiter; vorallem verbraucher- bzw. anwenderfreundlicher.


Gruß,

    Volker


[1] Ich hab gehört, es soll sauschwer sein, in Firefox als
    Außenstehender was beisteuern zu können.

[2] Die Feinheiten kann man während des Programmierens immer noch
    nachfüllen, und die Hemmschwelle dazu ist viel geringer, wenn
    schon ein Grundgerüst an Doku vorhanden ist.

-- 
Volker Grabsch
---<<(())>>---
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