[linux-l] Freie Software per Gesetz?

Jörg Schmidt joesch04 at web.de
So Jul 22 01:28:15 CEST 2007


Hallo Volker, *,

Volker Grabsch schrieb:
> Na, das ist aber ganz schön idealisiert

ja, stimmt - denn ich beschreibe damit ja das ursprüngliche Ideal-Bild

> und wird von der GPL in keiner
> Weise sichergestellt.

auch das ist richtig

> Auch bei freier Software besteht die Masse aus
> "Nehmern", nämlich reinen Anwendern.

Ja, so ist die Realität, nur entspricht diese Realität ebend nicht dem
ursprünglichen Ansatz von Freier Software. (mit "ursprünglicher Ansatz"
meine ich das was mir aus Veröffentlichungen bekannt ist, denn ich war
natürlich nicht dabei)
Nein, ich habe schon soviel geschrieben, ich schreibe jetzt hier nicht
auch noch dazu eine historische Abhandlung. Fakt scheint mir jedenfalls
das das ursprüngliche Idealbild freier Software und auch ihre
tatsächlichen Ursprünge darin lagen das Entwickler und Anwender in
Personalunion vorkamen.
Genau das Argument vieler 'klassischer' Vertreter freier Software bewußt
nicht für den Markt zu entwickeln (was i.d. Zusammenhang nicht einmal
mit politischer Ansicht verknüpft ist, sondern rein ihre Ansicht zur
gewünschten Vorgehensweise beschreibt) ist bei ökomomischen
Betrachtungen zum Vergleich von Wertschöpfungsketten bei freier Software
und properitärer Software eine Grundannahme.

(ich schrieb ja das entsprechende wissenschaftliche Modelle dringend
benötigt werden, weil einfach noch nichts Ausgereiftes existiert)

> Freie Software funktioniert als Wirtschaftsmodell so, dass jeder
> einzelne viel weniger gibt als er nimmt.

ja, aber das ("jeder einzelne") steht ja nun nicht in Widerspruch
zumeinen Aussagen bzw. es darf nicht mißverstanden werden insofern wenn
nun jeder einzelne weniger gibt als das Ganze, das dann die
wirtschaftliche Bilanz nicht mehr stimmt, das ist ja auch garnicht so.

Eine der klassischen Stärken von freier Software war nur ursprünglich
(heute nur noch teilweise, wie Du ganz richtig feststellst) ihre
NICHT-Marktbezogenheit.
Warum das ein Vorteil ist? Nun, weil nur so ggf. auch völlig
unkonventionelle Lösungen an die Oberflächge gespült werden die bei
marktkonformer Softwareentwicklung niemals in Erscheinung treten. Der
Unterschied ist in etwa wie der Vergleich eines völlig unabhängigen
Forschers (dem auch das heutige Bild der universitären Forschung nicht
mehr vollkommen entspricht) zu einem Forscher in der Industrie.

> Bei proprietärer Software hingegen, als Wirtschaftsmodell gesehen,
> gibt jeder mehr zurück, als er nimmt. Jeder einzelne User zahlt
> seinen Teil der Entwicklungskosten.

Und genau  hier einen Unterschied zu freier Software machen zu wollen,
kann einfach volkswirtschaftlich nicht stimmen, das weiß im Prinzip auch
jeder, nur es ist ebend hochkompliziert dafür volkswirtschaftliche
Modelle zu finden.

(nur andeutungsweise: das ehrenamtliche Engagement eines Erstellers von
freier Software ist volkswirtschaftlich nicht kostenlos, denn der
Ersteller muß sich in einer wirtschaftlichen Lage befinden, die ihm
dieses Engagement ermöglicht.)

> Sicher sind die Projekte z.T. auch selbst dran schuld, wenn ihre
> Doku nicht gut genug ist, um Neulinge an Board zu holen. Aber den
> anderen Teil des Problems steuern die Neulinge bei, die nicht einmal
> recherchieren, ob es sowas ähnliches wie ihr Projekt vielleicht schon
> gibt. Viel zu viele starten einfach so ein Projekt, in der blauäugigen
> Annahme, es werde in Nullkommanix berühmt, weil es so cool ist,

"cool" ist dann ein Adjektiv was zu Projekten die ich als "klassische
freie Softwareprojekte" kategorisieren würde eher nicht passt,
klassische Projekte i.d.S. legen nämlich keinen Wert auf GUI, sondern
auf Funktionalität und ich glaube einfach nicht das der Mainstream
irgendein (höchst effizientes, aber erscheinungsmäßig unauffälliges)
Kommandozeilenprogramm als "cool" bezeichnen würde.

Nein, Deine Beschreibung ist deswegen nicht falsch, sie ist für heutige
Verhältnisse vollkommen zutreffend, nur entsprechen heutige Verhältnisse
ebend (teilweise) nicht mehr dem ursprünglichen Modell

> Aber wie können sie das ernsthaft
> glauben, wenn
> sie nicht einmal selbst dazu bereit sind?

Das ist viel zu wertbezogen, solche Gedanken hat sich früher niemand
gemacht, denn niemand war darauf aus ein Projekt zum Erfolg zu führen.
Das Projekt war (nur) dem Schreiber wichtig (im positiven Sinne), das
sich vielleicht andere dranhängen war für den Schreiber eine Option,
nicht mehr, und er würde den Erfolg des Projekts nicht daran gemessen
haben.

> Der Normalfall für ein neues Projekt ist jedenfalls, dass erstmal
> gar keine Resonanz kommt, und man froh sein kann, wenn es überhaupt
> von mehr als 100 Leuten runtergeladen wird. Es braucht schon viel
> Zeit und Glück, bis überhaupt ein Anwender das Projekt so cool findet,
> dass er den Autoren ein Dankeschön sendet. Geschweige denn Bugreports
> macht, oder sogar *gute* Bugreports, oder gar Bugfixes oder neue
> Übersetzungen. Aber dass dann auch noch jemand Doku schreibt
> oder andere
> substanzielle Teile beisteuert, das kann man vergessen, es sei denn,
> man hat etwas *wirklich* herausstechendes gemacht.

Ja, stimmt alles, nur ist dieser Erfolgszwang nicht das ursprüngliche
Wesen freier Software, klassisch gab es einen (oder eine Handvoll)
Entwickler, die etwas schrieben was /für sie/ bereits in erster Version
Nutzen brachte, alles was danach von anderen beigesteuert wurde, war
zwar erwünscht, konnte aber den Erfolg nur vergrößern und nicht erst
ermöglichen, denn der Erfolg war schon eingetreten.

> Nein, das interessantere Verhältnis ist doch wohl:
>
>            Codegröße
>     -----------------------
>     Anzahl d. Programmierer
>
> und nicht:
>
>        Anzahl d. Anwender
>     -----------------------
>     Anzahl d. Programmierer

banal gesagt:
Wenn das so wäre (bzw. der alleinige oder entscheidende Maßstab wäre)
wäre MS Office gegenüber OOo in einem Maße überlegen, das OOo chancenlos
wäre, die Praxis bestätigt das es nicht so ist.

etwas genauer:
Du vermischt hier Dinge die so nicht vermischt gehören, /wenn/ es darum
geht Vorteile von freier Software herauszuarbeiten, denn es geht bei der
Prüfung, Kontrolle des (freien) Codes ganz essentiell um vom Projektkern
unabhängige Entwickler.
Nein, das ist nun nicht eine Sache die man unumstößlich belegen kann,
die Praxis lehrt nur das der unabhängige Blick von außen Fehler
aufspüren kann die von innen nie ans Licht treten. Das ist auch im
kleinen so, denn ich kann ein sehr überschaubares Projekt von sagen wir
mal 10 Seiten Quelltext, was ich selbst geschrieben habe, einen Monat
auf Fehlerfreiheit testen und Stein und Bein schwören, es könne nichts
'Größeres' mehr sein, sobald ich es frei gebe holt mich die erste
Fehlermeldung die schon 24 Stunden später eingeht in die Realität
zurück.
Selbst wenn Du im kommerziellen Bereich die Qualitätssicherung bis ins
Kleinste planst und Riesenmittel zur Verfügung hast, stehst Du letztlich
vor diesem Phänomem.

> > es gibt nur noch die Prüfung der beauftragten
> > Programmierer bei der man untzerstellen darf sie ist
> genauso gut oder
> > schlecht wie bei properitärer Software.
> > Diese Effekte treten aber nicht erst dann ein wenn es im Wortsinn
> > Niemanden mehr gibt der die Software (unabhängig von den
> Beauftragten)
> > prüft, sondern schon viel früher, nämlich dann wenn der Anteil der
> > Programmierer innerhalb der Gruppe der Anwender ein bestimmtes Maß
> > unterschreiet.
>
> Hast du irgendwelche Belege für diese Aussage? Das erscheint mir
> persönlich nämlich an den Haaren herbei gezogen.

Nein, handfeste Belege dafür habe ich nicht, nur scheint mir das Ganze
in sich selbst begründet.
Ich habe behauptet das dieser Effekt theoretisch erst auftreten kann
wenn kein Externer mehr prüft (also Anzahl Externer Prüfer = 0) und ich
habe behauptet das rein praktisch dieser Effekt schon auftritt für
Anzahl externer Prüfer > 0.
Nun ich glaube das ist so, weil ich beispielsweise keinen großen
Unterschied sehe ob der OOo-Code von tatsächlich niemandem extern
geprüft wird oder es beispielsweise 5 Prüfer gibt. Klar finden die 5
Prüfer Fehler und können sie beseitigen, nur ist die Anzahl der Fehler
die sie bearbeiten können im Vergleich zu allen vorhandenen Fehlern so
gering das sie insgesamt nicht sehr ins Gewicht fällt.
Das gilt nun hier für das Beispiel OOo, denn natürlich kann eine Anzahl
von 5 Prüfern schon sehr relevant sein, wenn das Projekt entsprechend
kleiner ist.

> Nicht, dass mir Zahlen zur Verfügung stünden, die das
> Gegenteil belegen.

Nein, das verstehe ich, ich hätte sie auch nicht verlangt.

> Aber deine Kausalkette ist für mich nicht schlüssig, da sie von vielen
> fragwürdigen Annahmen ausgeht.

Naja, ich habs nun nochmal hingeschrieben, aktzeptiere die Logik oder
kritisiere sie, Zahlen habe ich nicht.

> Ich denke, das großte Probleme ist nach wie vor, dass [...]

ja, ich verstehe alles was Du sagst vollkommen, nur es ist nur Abbild
der Praxis und keine Erklärung. Worauf ich gezielt habe ist hingegen die
Situation der wirtschaftstheoretischen Begründbarkeit der Überlegenheit
von FOSS und dazu gibt es derzeitig wirklich kaum etwas Brauchbares.
(Nö, das sog. 'Basar-Modell' und angelehnte Erklärungen ist nun nicht
'Nichts' im Sinne 'Garnichts', nur es ist nicht der Art das es sich
irgendwie in volkswirtschaftliche Gesamtmodelle einpassen ließe.)
Allein schon die halbwegs gesicherten Erklärungen für Unterschiede in
den Wertschöpfungsketten von FOSS und properitärer Software zu
diskutieren sprengt den Rahmen einer Mailingliste bei Weitem.

> Das muss sich an zwei Stellen ändern. [...]

Stimmt, und ich denke wir arbeiten daran gemeinsam tagtäglich (jeder mit
seinen kleinen Beitrag), nur mir kams hier und heute auf den
'theoretischen Unterbau' an, vielleicht ist das von mir nicht genau
genug klargestellt gewesen.

> Dass freie Software in Zukunft vielleicht mehr mit kommerziellen
> Interessen als durch "klassische" freie Projekte entwickelt wird,
> sehe ich hingegen nicht als großes Problem. Im Gegenteil! Gäbe es
> statt der vielen proprietären Software nur noch kommerzielle freie
> Software, und gäbe es keine Softwarepatente mehr, wäre die SW-Welt
> um einiges weiter; vorallem verbraucher- bzw. anwenderfreundlicher.

Da sind wir einer Meinung - nur lies bitte nach was ich sagte. Ich sagte
das diese 'freien Projekte' IMHO die Tendenz haben werden eher eine Art
OSS-Projekte zu sein und ebend nicht mehr freie Projekte, wenn die
freien Projekte nicht 'gegensteuern'.
Ich unterstelle halt das sich FOSS verbreiten wird, wenn aber die freie
Software-Bewegung nicht aufpasst sich der Anteil von freier Software zu
OSS innerhalb von FOSS, mehr und mehr zu Gunsten von OSS verschieben
wird. (Das reine Behauptungsgebahren wenn ein Projekt unter GPL stehe
reiche das aus es als freie Software und nicht als OSS zu
charakterisieren, ist mir dazu etwas wenig, das war ja Grund meiner
'Kritik'.)
Probleme habe ich (als Befürworter von OSS) damit zwar ohnehin nicht,
nur es scheint mir das die Entwicklung in diese Richtung tendieren wird,
wenn man alles 'nur laufen lässt'.




Gruß
Jörg




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