[linux-l] Freie Software per Gesetz?

Volker Grabsch vog at notjusthosting.com
Mo Jul 23 00:06:00 CEST 2007


On Sun, Jul 22, 2007 at 01:28:15AM +0200, Jörg Schmidt wrote:
> > Auch bei freier Software besteht die Masse aus
> > "Nehmern", nämlich reinen Anwendern.
> 
> Ja, so ist die Realität, nur entspricht diese Realität ebend nicht dem
> ursprünglichen Ansatz von Freier Software. (mit "ursprünglicher Ansatz"
> meine ich das was mir aus Veröffentlichungen bekannt ist, denn ich war
> natürlich nicht dabei)

Gut, also beziehst du dich im Wesentlichen auf Stallmans Texte.
Die sagen aber *rein gar nichts* über das Entwicklungsmodell aus.

Dort ist von Anwendern die Rede, deren Handlungsmöglichkeiten unnötig
eingeschränkt werden, und von Programmieren, die - verteilt in
verschiedenen Firmen - an Kooperation gehindert werden. Und von
Privatleuten, die weder sich selbt noch ihrem Nachbarn helfen dürfen.

Es ging ursprünglich nie darum, dass freie Software von unabhängigen
freien Projekten entwickelt werden soll.

Dass es so kam, lag aber IMHO nicht an irgendeinem konkreten Firmen-
feindlichen Idealbild der damaligen Zeit. Ich glaube eher, es war
umgekehrt: In den Software-Firmen hatte sich eine freie-Software-
feindliche Kultur entwickelt. Und deshalb haben sie nicht umgeschwenkt,
und nur ganz wenige der neu entstandenen Firmen haben's mit freier
Software probiert.

Die Software-Firmen waren FOSS-feindlich eingestellt, nicht andersrum.

Im Gegenteil, das FOSS-Idealbild bezog Firmen mit ein, und zumindest
Stallman wollte dadurch eine viel intensivere Zusammenarbeit zwischen
den Software-Herstellern erreichen, sodass sie mehr Code voneinander
wiederverwenden und dadurch das Rad nicht ständig neu erfunden wird.

> Nein, ich habe schon soviel geschrieben, ich schreibe jetzt hier nicht
> auch noch dazu eine historische Abhandlung. Fakt scheint mir jedenfalls
> das das ursprüngliche Idealbild freier Software und auch ihre
> tatsächlichen Ursprünge darin lagen das Entwickler und Anwender in
> Personalunion vorkamen.

Diesen "Fakt" kann man auch ohne "historische Abhandlung" belegen.
Zum Beispiel durch eine einfache Quellenangabe.[1]

Aus welchen Texten von Stallman, Raymond oder sonstwen konntest du
schließen, dass ihr Idealbild darin bestand, dass Software von
freien Projekten statt Firmen entwickelt wird?

> Genau das Argument vieler 'klassischer' Vertreter freier Software bewußt
> nicht für den Markt zu entwickeln (was i.d. Zusammenhang nicht einmal
> mit politischer Ansicht verknüpft ist, sondern rein ihre Ansicht zur
> gewünschten Vorgehensweise beschreibt) ist bei ökomomischen
> Betrachtungen zum Vergleich von Wertschöpfungsketten bei freier Software
> und properitärer Software eine Grundannahme.

Stallman hat sein GNU-Projekt nicht als Firma gestaltet, weil er
in erster Linie vorhatte, freie Software zu entwickeln. Aber nicht,
weil er was gegen Firmen hatte.

Im Gegenteil, die Software des GNU-Projektes sollte so weit verbreitet
und genutzt werden, dass auch Firmen motiviert oder gar gezwungen werden,
freie Software zu entwickeln. Ein Pool an freier Software als Druckmittel
für freie Software.

> Eine der klassischen Stärken von freier Software war nur ursprünglich
> (heute nur noch teilweise, wie Du ganz richtig feststellst) ihre
> NICHT-Marktbezogenheit.
> Warum das ein Vorteil ist? Nun, weil nur so ggf. auch völlig
> unkonventionelle Lösungen an die Oberflächge gespült werden die bei
> marktkonformer Softwareentwicklung niemals in Erscheinung treten.

Aber es gibt genauso auch Entwicklungen, die in freien Projekten
undenkbar wären, und erst von Software-Firmen gestämmt werden können.

Ich stimme zu, dass freie Projekte eine große Bereicherung sind,
aber ich sehe den Vorteil gerade darin, dass es Firmen *und* freie
Projekte gibt.

Und ja, ich persönlich vertraue auch eher Software, die ohne kommerzielle
Interessen entwickelt wurde, selbst wenn es freie Software ist. Deshalb
würd ich aber nicht in einer Welt leben wollen, in der es keine Freie-
Software-Firmen gibt.

> Der
> Unterschied ist in etwa wie der Vergleich eines völlig unabhängigen
> Forschers (dem auch das heutige Bild der universitären Forschung nicht
> mehr vollkommen entspricht) zu einem Forscher in der Industrie.

Aber beide sind wichtig. Der freie Forschers erfüllt die
wissenschaftlichen und der indutrielle Forscher die wirtschaftlichen
Bedürfnisse. Auf keinen von beiden kann die Welt verzichten.

> Nein, Deine Beschreibung ist deswegen nicht falsch, sie ist für heutige
> Verhältnisse vollkommen zutreffend, nur entsprechen heutige Verhältnisse
> ebend (teilweise) nicht mehr dem ursprünglichen Modell

Dennoch, egal ob GUI oder nicht: Freie Projekte hatten es schon damals
ziemlich schwer, weitere Entwickler zu finden. Und mehr Anwender zu
haben, also einen höheren Bekanntheitsgrad, ist da definitiv ein
Vorteil.

Ob das heute besser geworden ist, kann ich nicht beurteilen. Aber ich
habe das Gefühl, es ist nicht *wesentlich* besser geworden. Einerseits
gibt es mehr FOSS-Enthusiasten und damit mehr potentielle Mithelfer.
Aber andererseits ist die Flut an Projekten auch viel größer geworden.

> Allein schon die halbwegs gesicherten Erklärungen für Unterschiede in
> den Wertschöpfungsketten von FOSS und properitärer Software zu
> diskutieren sprengt den Rahmen einer Mailingliste bei Weitem.

Darauf bezog sich meine Kritik auch nicht. Es geht hier nur darum,
dass ich anhand meiner eigenen Recherchen deiner Darstellung der
"ursprünglichen Motivation zur freien Software" nicht zustimmen kann.
Das Idealbild, das du beschreibst, gab es auch damals nicht. Es ist
nicht mit der Zeit verloren gegangen, sondern war IMHO nie da.

Wer etwas veröffentlich hat, wollte weite Verbreitung. Gerade die
Hackerkultur ist doch eine klassische "reine" Leistungsgesellschaft
(im positiven Sinne). Auch wenn sich jemand keine Mitarbeit erhofft
hat, so hat er sich doch zumindest weite Bekanntheit und Anerkennung
erhofft.

Das gilt sogar für die schwarzen Schafe, die ihre Cracks zwar nicht
mit realem Namen unterschreibenn, aber zumindest mit festen Pseudo-
nymen arbeiten.

> > Das muss sich an zwei Stellen ändern. [...]
> 
> Stimmt, und ich denke wir arbeiten daran gemeinsam tagtäglich (jeder mit
> seinen kleinen Beitrag), nur mir kams hier und heute auf den
> 'theoretischen Unterbau' an, vielleicht ist das von mir nicht genau
> genug klargestellt gewesen.

Mir ging es um die konkrete Aussage, dass Software weniger von
den "typischen FOSS-Vorteilen" profitiert, wenn sie von einer
Firma entwickelt wird.

Dem habe ich nicht widersprochen, aber ich wollte nur klarstellen,
dass dies nur ein (IMHO unbedeutender) Bruchteil der Probleme ist,
und dass man an ganz anderen Stellen anpacken muss, wenn man die
Qualität von FOSS erhöhen will. Egal, ob als Firma oder als freies
Projekt.


Gruß,

    Volker


[1] Ich weiß ja nicht, wie das bei studierten Historikern gehandhabt
    wird, aber bei uns in der Schule, im Geschichtsunterricht, haben
    wir das immer so gehandhabt. ;-)

-- 
Volker Grabsch
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