[linux-l] Freie Software per Gesetz?

Jörg Schmidt joesch04 at web.de
Mo Jul 23 16:45:22 CEST 2007


Hallo Volker, *,

Volker Grabsch schrieb:
> Gut, also beziehst du dich im Wesentlichen auf Stallmans Texte.
> Die sagen aber *rein gar nichts* über das Entwicklungsmodell aus.

Ich glaube die Mißverständlichkeit meiner Aussagen könnte daher rühren
das Du denkst das ich meine jemand hätte explizit etwas gesagt was
beschreibt wohin sich das Ganze entwickeln /solle/. Das meinte ich aber
nicht. Ich meinte vielmehr wohin es sich damals entwickelt /hat/,
zumindestens für den heutigen Betrachter.

> Aus welchen Texten von Stallman, Raymond oder sonstwen konntest du
> schließen, dass ihr Idealbild darin bestand, dass Software von
> freien Projekten statt Firmen entwickelt wird?

Ich habe das nirgens gesagt, Firmen spielten in dieser Weise bei meiner
Betrachtung keine Rolle. Also was auch immer im Bezug hätte auf Firmen
gesagt werden können war da nicht mein Thema, das war nur der Entwickler
und Anwender in Personalunion.

> Diesen "Fakt" kann man auch ohne "historische Abhandlung" belegen.
> Zum Beispiel durch eine einfache Quellenangabe.

Hast Du recht, die Forderung ist fair.

zunächst:
Ich behaupte es war klassisch typisch für freie Software das Nutzer und
Entwickler in Personalunion vorkamen.

Du wirst im Netz verschiedene Ausführungen zu den Geschehnissen an
amerikanischen Hochschulen in Bezug auf Unix innerhalb wohl der 60iger
und 70iger Jahre des letzten jahrhunderts finden, die alle den selben
Tenor haben:

"An den US Universitäten
entstand rege Entwicklungstätigkeit unter den Unix-Nutzern." [1]

heißt also die Entwicklungstätigkeit fand unter Nutzern (und nicht
irgendwo) statt, also Nutzer und Entwickler waren dieselben Personen,
genau das was ich behaupte.

Du wolltest Stallmann hören:

"Als ich 1971 anfing, im Labor für Künstliche Intelligenz des MIT zu
arbeiten, wurde ich Teil einer gemeinschaftlich Software nutzenden
Gesellschaft, die seit vielen Jahren existiert hatte. Das miteinander
Teilen von Software war nicht auf unsere einzelne Gruppe beschränkt; es
ist so alt, wie die Computer selbst, genauso wie das Weitergeben von
Rezepten so alt, wie das Kochen ist. Aber wir taten es öfter, als die
meisten.

Das KI-Labor nutzte ein Mehrbenutzer-Betriebssystem, genannt ITS (the
Incompatible Timesharing System) welches die Hacker (1) des
Laborpersonals in Assemblersprache für den Digital PDP-10, einen der
großen Computer dieser Ära, designed und geschrieben hatten. Als ein
Mitglied dieser Gemeinschaft, als ein KI-Laborpersonal-Systemhacker, war
es meine Aufgabe, dieses System zu verbessern." [2]

Also wieder wird eine Gemeinschaft beschrieben die Software gleichzeitig
nutzt und entwickelt.
(Falls Du hier Zweifel hast das es sich um die von mir angeführte
Personalunion handelt, müßte ich andere Texte von Stallmann suchen die
diese Zeit seiner Tätigkeit mit anderen Worten beschreiben, wo es noch
deutlicher wird, ich weiß es gibt sie, ich habs gelesen.)

und er fährt fort:

"Wir nannten unsere Software nicht "freie Software", weil dieser Term
noch nicht existierte, aber das ist es, was sie war." [2]

Tja und noch deutlicher geht es ja wohl kaum.
Stallmann sagt nicht nur es war freie Software, sondern tut das vor der
Zeit der GNU-Bewegung (falls jetzt jemand käme und wolle erklären freie
Software sei zwingend mit GNU identisch oder bestehe erst seit GNU) und
indem er das tut sagt er auch das hier Wurzeln liegen, egal was
historisch später an Umdefinition auch hätte erfolgen können.

Auch [5] unterstreicht meine These, z.B. mit:

"Der 'typische' Linuxnutzer ist ein Hobbyist: Er benutzt Computer, weil
Computer Spaß machen, Programmierung Spaß macht, Hacking Spaß macht. Und
Linux ist ein weitaus besseres Betriebssystem für einen Hobbyhacker: Er
kann es nach Belieben bis zur untersten Ebene auseinander nehmen und
wieder zusammensetzen. [...] Wenn Sie etwas wollen, das einfach
funktioniert, verwenden Sie Windows. Wenn Sie es hacken wollen,
verwenden Sie Linux. Warum wollen Sie zu Linux wechseln, wenn Sie kein
Interesse daran haben, Vorteile aus seiner Open-Source-Herkunft zu
ziehen?"

Also Linux bietet Vorteile und diese liegen darin es hacken zu können
und nur wenn man das will (also Nutzer und Hacker gleichzeitig(!) sein)
sollte man Linux nutzen.

Der gesamte Artikel [5] ist trotz einiger Ungenauigkeiten lesenswert,
weil er zwar keine historische Beschreibung ist, aber sehr deutlich
macht das meine Definition der Wurzeln stimmt. Lies mal die Teile zur
Benutzerfreundlichkeit von Linux (für ehemalge Windows-Nutzer), die
Aussage dazu ist sehr eindeutig, das alles geschieht nämlich NICHT weil
es im Interesse von Linux liegt, sondern nur weil die Linux-Leute
erkannt haben sie können Windows-Umsteigern helfen.
Die klassischen Interessen von Linux liegen einfach nicht darin
möglichst viele Nutzer zu gewinnen (das sind neue Interessen die von
z.B. Distributoren getragen werden):

"Typische FOSS Software wird von jemandem erstellt, der herumschaut,
keine existierende Software findet, die er mag, und daher seine eigene
schreibt. Weil er so ein netter Kerl ist, schmeißt er anschließend den
Quelltext ins Internet und sagt: "Bedient euch". [...] Ob sie von einer
Person oder eine Milliarde benutzt wird, macht für den Entwickler keinen
Unterschied. [...] FOSS ist das genaue Gegenteil von Software wie
Windows: FOSS dreht sich nur um die Software. Es geht nicht um die
Anzahl der Endbenutzer. Software, die zwar gut funktioniert, aber nur
wenige Benutzer hat, ist für die kommerzielle Software-Welt ein Flop,
aber für FOSS ein Gewinn." [5]

Thorwalds sagte:

"Ich wollte ein System haben, das ich selbst
auf meiner Maschine nutzen konnte, bis es etwas Besseres gäbe. Ich habe
es im Internet zur Verfügung gestellt, nur für den Fall, dass jemand
anderes an so einem Projekt Interesse hätte." [4]

'selbst auf seiner Maschine nutzen' und "nur für den Fall" heißt ja wohl
erkennbar das Thorwalds garkein zwingendes Interesse hatte seine Arbeit
auszuweiten, sondern nur das er anderen die Möglichkeit dazu nicht
nehmen wollte.


Das das von mir gezeichnete Bild der (ursprünglichen) Personalunion auch
mehr ist als eine Randglosse wirst Du in [3] belegt finden:

"Eine Möglichkeit, dieses Paradox aufzulösen, ergibt sich aus der
Verschiebung
des Blickwinkels. Statt, wie in der ökonomisch geprägten Sichtweise
naheliegend,
die Softwarefirmen als die relevanten Aktoren zu betrachten, werden die
Software-
Benutzer-Programmierer ins Zentrum der Untersuchung gerückt. Im Zentrum
der
Analyse des Open-Source-Phänomens stehen dann die ‚Prosumer‘ (siehe
Toffler
1980), d. h. Benutzer, welche die Software an ihre Bedürfnisse anpassen
und weiterentwickeln.
Wie von Hippel und von Krogh (2002) gezeigt haben, ist mit einem solchen
Perspektivenwechsel ein wesentlicher Erkenntnisgewinn möglich."

Hier ist also die Rede vom "Benutzer-Programmierer" - ein besseres
Synonym für die von mir konstatierte Personalunion wird sich kaum finden
lassen.

> Stallman hat sein GNU-Projekt nicht als Firma gestaltet, weil er
> in erster Linie vorhatte, freie Software zu entwickeln. Aber nicht,
> weil er was gegen Firmen hatte.

Ja, da stimme ich zu, aber genau deshalb hatte ich ja die Klammer (s.o.
im meinem Text) eingefügt.

'Nicht mit politischer Ansicht' verknüpfen sollte (u.A.) heißen nicht
gegen Firmen zu sein.

Obwohl man auch sagen müßte das Stallman den Begriff des Copyleft
historisch eher aus Begründungen prägte, die Firmenfeindlichkeit
begründen ließen, denn er sagte sinngemäß zu seiner Motivation 'er wolle
Copyright-Bildschirme nicht sehen' und diese rührten aus seiner
damaligen Sicht von Firmen her.
Also man könnte das wenn man wollte belegen, gerade zur Zeit der
Entstehung von GNU, man kann jedoch davon absehen und sollte es deshalb
tun weil sich die Meinung von Stallman später gewandelt hat,
zumindestens insofern es ihm wichtiger wurde Anderes zu betonen.





Gruß
Jörg


[1]
Atila Ardal, Open Source – das Beispiel Linux, Diplomarbeit, TU Berlin
2000

[2]
http://www.gnu.org/gnu/thegnuproject.de.html

[3]
BENNO LUTHIGER, Alles aus Spaß? Zur Motivation von
Open-Source-Entwicklern, in OpenSource-Jahrbuch 2004, Berlin 2004

[4]
nach: VOLKER GRASSMUCK, FREIE SOFTWARE ZWISCHEN PRIVAT UND
GEMEINEIGENTUM, Bonn 2002 S. 236

[5]
http://www.felix-schwarz.name/files/opensource/articles/Linux_ist_nicht_
Windows/




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