[linux-l] Bash und History

Frank Lehmann eggsperde at gmx.net
So Nov 16 20:27:49 CET 2008


Hi Volker,

>>> Nichts ist schlimmer als gesundes Halbwissen. Es vermittelt den Eindruck, 
>>> man wisse Bescheid, und schießt sich so gern mal in den Fuß.
>>>
>>> Manchmal ist Nichtwissen besser. Dann hat man wenigstens "Ehrfurcht" und 
>>> verschlimmbessert nicht.
> [...]
>> Noch vor 200 Jahren war das Un-/Halbwissen über Atome und Elektronen
>> unglaublich groß, vor 500 Jahren war die gängige Lehrmeinung, dass die
>> Erde eine Scheibe sei. Wissen entwickelt sich weiter - und die Kenntnis
>> von Apache-Konfigurationsparametern gehört sicher auch dazu.
> 
> Konfigurationsparameter kann man testen. Manpages, Howtos, etc. sind
> mit erträglichem Aufwand verifizierbar. Weltmodelle hingegen nicht, sie
> sind höchstens durch Experimente falsifizierbar. Zudem werden Konfi-
> gurationsparameter nicht mit der Zeit entdeckt, sondern von Programmierern
> explizit in die Software eingebaut und im Handbuch vermerkt.
> 
> Wissen über Software und Wissen über die Physik sind in vielen
> Punkten grundverschieden, daher funktioniert deine Analogie nicht.

Über diesen Punkt habe ich nachgedacht, mir sind jedoch spontan keine
Beispiele eingefallen. Kannst du welche geben? Den größten Unterschied,
den ich ausmachen konnte, hat Linus Torvalds mal beschrieben als "... in
einer programmierten Welt kann jeder Gott sein", da er die Regeln festlegt.

> Das Problem ist doch ein ganz anderes: Nur wenige machen sich überhaupt
> die Mühe, ihre einmal hingetippten Howtos auch nur ein einziges Mal komplett
> durchzuspielen.
> 
> Ganz früher habe ich auch so (schlampig) gearbeitet, doch nach einigen
> heilsamen Erfahrungen teste ich nun grundsätzlich _jede_ Doku, die ich
> produziere, und fast immer fallen mir dabei noch kleine Fehler auf.
> 
> Das läuft etwa so: Ausprobieren, nebenher Doku schreiben, es läuft!,
> alles wieder entfernen, Doku stur abarbeiten, dabei Fehler korrigieren,
> nochmal alles kaputt machen, Doku stur abarbeiten, es lauft!
> 
> Es dauert etwas länger, hat aber den Vorteil, dass die Doku danach
> _wirklich_ vollständig ist, und dass sie per Copy & Paste in die
> Kommandozeile anwendbar ist. Außerdem hat das den Vorteil, dass man
> mit der Zeit lernt, welche Fehler typischerweise in einer Doku drin
> stecken.
> 
> So kann man sie bei zukünftigen Dokus von vornherein besser
> vermeiden, und man kann fremde Dokus schneller einschätzen und
> kritische Punkte erkennen, die man lieber nochmal woanders
> nachschlägt, und am besten nochmals selbst verifiziert.
> 
> Doch diese Mühe machen sich nur wenige. Halbwissen ist leichter zu
> produzieren, daher gibt es im Netz viel, viel mehr davon.
> 
Stimmt. Es gibt viel Un- und noch mehr Halbwissen. Aber was sagt uns
das? Wollen wir das Internet stillegen? Man-pages sind - wie bereits
gesagt - Teil der im WWW verfügbaren Informationen, können mit
Suchmaschinen gefunden werden und tragen evtl. sogar zur Verringerung
des Halbwissens bei.

>> [Ich glaube einfach an eine Evolution des Wissens, so wie auch freie
>> Software reift - die Seite mit dem "gefährlichen Halbwissen" über die
>> Apache-parameter wird sich sicher nicht all zu lange im
>> Google-Gedächtnis halten, wenn es _bessere_ Informationen zu dem Thema
>> gibt. 
> 
> Es gibt einige Beispiele, bei denen das tatsächlich funktioniert.
> Und viele, bei denen dies komplett schief geht. Deinen Glauben in
> allen Ehren, aber die "Evolution" ist in dem Punkt zu langsam.



> Evolution würde bedeuten, dass schlechte Howtos aus dem Netz
> verschwinden, wenn sie genügend vielen Leuten Ärger bereitet
> haben, oder wenn die Autoren Von Guten Howtos[tm] genügend weite
> Verbreitung finden.

In einer perfekten Welt: Ja. (Aber in so einer Welt gäbe es auch keine
schlechten Howtos.)

> Wer zuerst im Netz ist, hat immer einen Vorteil, weil viele andere
> auf einen verlinken, weil's nunmal nichts besseres gibt. Eine
> ordentliche Doku braucht Zeit, und ist daher nur selten die erste
> im Netz. Folglich muss sie sich gegen die erste durchsetzen, aber
> wie? Auf obige "Evolution" zu warten erzeugt viel Kollateralschaden.
> 
> Man müsste die ersten Verlinkungen davon überzeugen, lieber auf
> die bessere Doku zu zeigen - den Aufwand tut sich keiner an. Also
> müsste man die ursprüngliche Doku dazu bewegen, auf die neue zu
> zeigen. Oder die ursprüngliche Doku müsste unter freier Lizenz in
> einem für jedermann offenen Wiki stehen.
Meiner Meinung nach ist das eine (entschuldige bitte) relativ
altmodische Herangehensweise. Denk nur mal daran, wie sich die Bedeutung
von Bookmarks relativiert hat, seit Suchmaschinenen so effizient
geworden sind (bezüglich schlecht finanziell-verwertbarer Themen). In
Bereiche, in die Suchmaschinenoptimierung noch nicht vorgedrungen ist
(die Dokumentation freier Betriebssysteme zähle ich dazu),
funktionierieren die Evolution oft sehr gut. Wer "man bash" bei Google
eingibt kommt nicht auf Seiten, die das letzte mal vor fünf Jahren
aktualisiert wurden, sondern findet aktuelle Informationen - die
identisch mit denen der bei meinem OS mitgelieferten sind. Vorteilhaft
ist, dass ich kein weiteres System lernen muss (Wie springt man bei
"info grub" zwischen den links hin- und her? warum muss ich am Ende der
man-Page "q" drücken? Warum kann ich kein Lesezeichen auf den Abschnitt
"histcontrol" setzen?)

Wenn man schon Wikis zur Verwaltung/Darstellung von man-pages nehmen
muss, ist der   beste Punkt die zentrale Speicherung: Bis eine Korrektur
in Debian Stable ist, können Jahre vergehen! (Vorteil man-page und
Peters Argument: Sie passt höchstwahrscheinlich zur installierten Version.)

>> Die Kanalisierung und Kontrolle von Wissen in man-pages erachte
>> ich als wichtig, sie taugen aber IMHO nicht als alleinseligmachende Lösung.]
> 
> Das nicht, aber viele Howtos im Netz werden einfach unkritisch
> befolgt, obwohl sie bestenfalls als roter Faden geeignet sind.
> 
> Kritischer Umgang mit Webseiten und Bevorzugung der Original-
> Quellen sind heute wichtiger denn je, daher fand ich Peters
> Hinweis sehr gut und richtig.

Das ist natürlich richtig. Kritischer Umgang mit Informationen aus dem
WWW ist jedoch immer wichtig - ich hatte das vorausgesetzt. Inwieweit
das überhaupt möglich ist, wenn man Informationen zu einem Thema sucht,
in dem man nicht belesen ist, wäre der klassische Anwendungsfall für
zuverlässige Informationen aus man-pages. Andererseits: Für die
allermeisten Endanwender dürfte das unerheblich sein ("man tetris") -
und zu Beginn der Diskussion ging es zunächst um "Anfänger". Das an
Administratoren andere Anforderungen gestellt werden ist klar.

>> Schade, dass wir nicht in einer deterministischen Welt leben, aber
>> daraus resultiert nunmal, dass es immer ein Un-, bzw. Halbwissen geben
>> wird. Überhaupt: Welchen Quellen kann man denn noch Vertrauen schenken?
>> Dem Brockhaus? Den Bertelsmann Lexika? Der Microsoft Enzykolopädie? 
> 
> JFTR: Das liegt an der Komplexität, nicht am Fehlen des Determinismus.
> Gerade die Informatik kann durchaus als deterministisch angesehen werden,
> da in der Digitaltechnik nur sehr, sehr selten ein Bit "falsch umkippt".
> 
> Zwar gibt es diese physikalischen Effekte trotzdem, aber sie sind
> dermaßen selten, dass praktisch alle heutigen Computerprobleme auf
> die Komplexität zurückzuführen sind (Bugs, Irrtümer), und nicht auf
> das Fehlen von Determinismus.
> 
So lange Computer als abgeschlossenes System betrachtet werden. Aber
schon wenn man sich ansieht wieviel Aufwand mit Prüfsummen und "sicheren
Bereichen" auf CDs und DVDs und der Kühlung von CPUs getrieben wird, ist
ersichtlich, dass es eben doch nicht sonderlich determiniert ist.

Sind unsere Positionen so unterschiedlich? Irgendwie habe ich das
Gefühl, dass wir uns eigentlich in sehr vielen Punken einig sind.
Nichtsdestotrotz: Interessante Diskussion.

Einen schönen Sonntag noch,
Frank

-------------- nächster Teil --------------
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