[linux-l] OpenSource -Strategien

Volker Grabsch vog at notjusthosting.com
Do Dez 2 12:55:43 CET 2010


Jörg Schmidt <joesch04 at web.de> schrieb:
> Irgendwie verstehst du scheinbar nicht das FOSS heutzutage kein Modell
> nur allein mehr für ehrliche, nette Leute oder fortschrittliche Firmen
> ist, sondern das auch unseriöse Firmen versuchen das Ganze auszunutzen,

Diese Aussage finde ich etwas befremdlich angesichts der Tatsache,
dass du an anderer Stelle gegen Copyleft für BSD-artige Lizenzen
argumentierst. Denn genau dieses Verständnis, dass Freie-Software-
Entwickler ausgenutzt werden können, führte doch letztlich zu
Copyleft-Lizenzen wie der GPL. Um eben gerade diese Blauäugigkeit
und das entsprechende Auf-die-Nase-fallen zu verhindern.

> durch kreatives Vorgehen und solche Effekte werden sich mit größerer
> Marktdurchdringung verstärken, wenn man nicht gegensteuert.

Das ist nur dann ein Problem, wenn du eine Software als Produkt
ansiehst, für das man in einem gesunden Markt Konkurrenz-Produkte
erwarten sollte. Da diese scheinbar fehlen, wird ein Problem im
Markt vermutet.

Diese Sichtweise finde ich aber nicht zielführend, denn Software
ist viel eher eine Infrastruktur, und da ist es sinnvoller, wenn
möglichst viele in eine gemeinsame Infrastruktur investieren, statt
dass sich jeder seine eigene aufbaut.

Außerdem hat Freie Software _immer_ Konkurrenz, und zwar mit ihren
potentiellen Forks, sodass ein Wettbewerb stets vorhanden ist. Zum
Beispiel ist der GCC quasi der Platzhirsch unter den freien C / C++ -
Compilern. Von "außen" macht ihm keiner Konkurrenz, außer vielleicht
irgendwann clang. Dennoch musste sich der GCC vor einiger Zeit einem
starken Konkurrenten stellen, nämlich seinem eigenen Fork - EGCS.
Und der GCC hat verloren! Der EGCS ist dann zum offiziellen GCC
geworden - naja, offiziell wurden die Projekte nur ge-"merged". ;-)

Salopp gesagt hat der Platzhirsch eine Sache verbockt, doch statt
sich auf seinem Monopol ausruhen zu können, wurde er sofort platt
gemacht. So soll das doch laufen im freien Markt, oder?

> WEnn sich die FOSS-Szene berechtigter WEise gegen Lizenzmißbrauch wehrt,
> sollte sie gleichfalls im Blick haben wenn mit ihre Software bzw.
> Software-Entwicklungsmodellen volkswirtschaftlich negatiiv umgegangen
> wird, an den Stellen wo das geschieht.

Kannst du eine konkrete Stelle benennen, an der dieser Schaden aufgetreten
ist? Selbst dein Sun-Beispiel war sehr abstrakt, oder findest du, es
müsse sich umbedingt ein zweiter Platzhirsch neben OpenOffice breit
machen können, sonst gäbe es keine Innovation mehr im Office-Bereich?

(bzw. nur noch durch die Konkurrenz mit MS-Office)

> > Und Leute, die sich selbst ihr Essen
> > zubereiten, verzerren den Markt der Köche?
> 
> Nein, aber es ist in DE völlig normal das es rechtlich auch eine Grenze
> für z.B. Nachbarschaftshilfe gibt. Ich darf, wenn ich z.B. Handwerker
> bin, meinem Nachbar sicherlich einen Stromschalter kostenlos wechseln,
> mauere ich ihm aber sein ganzen Haus kostenlos so hat das rechtliche
> Konsequenzen, denn die Finanzverwaltung wird nicht bereit sein zu
> glauben das ich hunderte Arbeitsstunden kostenlos erbringe.

Ich sehe das Problem, aber ich sehe nicht, wie sich dieses auf
Software-Entwicklung übertragen lässt.

Denn von der Handwerks-Arbeit profitiert nur der Nachbar, von der
Software-Entwicklung hingegen profitieren alle (oder zumindest
die gesamte Zielgruppe). Daher sehe ich in der Hobby-Arbeit an
FOSS-Projekten eher eine ehrenamtliche Arbeit als einen Nachbarschafts-
gefallen.

Und wenn man gemeinnützige Arbeit als Wettbewerbsverzerrung sieht,
dann müsste man konsequenterweise auch sagen, dass die Freiwillige
Feuerwehr ein Problem darstellt, weil sie mit der Berufsfeuerwehr
konkurriert.

Ich habe aber eine Vermutung, worauf du hinaus willst. Vielleicht
passt ja folgende Analogie besser: Die Essens-Hilfspakete für
Entwicklungsländer stören die Entwicklung ihrer eigenen Agrar-
wirtschaft. Dort liegt das Problem darin, was passiert, wenn die
Hilfspakete irgendwann nicht mehr kommen.

Aber auch hier hinkt der Vergleich, denn bei Freier Software wird
ja gerade diese Abhängigkeit verhindert. Mag sein, dass viele
Unternehmen von einer bestimmten Freien Software abhängig sind.
Aber wenn diese nicht mehr weiter entwickelt wird, kann jeder
andere Programmierer auf deren Arbeit aufbauen. Das ist eine
unglaublich bessere Situation, als müsste man die Software komplett
neu entwickeln, um sie weiter zu bringen (oder bezogen auf die
Analogie, als müsste man erst einmal eine eigene Agrarwirtschaft
aufbauen).

> > Direkte Parallelen zum Preis-Dumping kann ich da absolut nicht
> > erkennen. Dann wäre ja jedes freie Gut inklusive der Luft, die
> > wir atmen, das Ergebnis von Preis-Dumping und damit ein Zeichen
> > von Wettbewerbsverzerrung.
> 
> Nein denn Luft steht ja eben jedem Hersteller zur verfügung,

Nein, da gibt es strenge Regeln, denen sich ein Unternehmen unterordnen
muss, wenn es die Luft intensiv verwenden will, also zum Beispiel
ein Kohle-Kraftwerk, das der Luft Sauerstoff entzieht und ihr
Schadstoffe hinzufügt.

So ziemlich jedes gemeinsame Gut ist mit Regeln belegt, damit
es nicht ausgebeutet wird. Teils durch Umgangsformen, teils durch
Gesetze und teils durch (Lizenz-)Verträge.

> freie
> Software nur jedem Anwender, beim Hersteller gibts lizenzabhängig
> gewissen Einschränkungen - MS kann keinen GPL-Code in MS Office
> einbauen.

Der GPL-Code steht auch Microsoft zur Verfügung, er ist nur auch
dort mit gewissen Regeln verbunden. Der einzige Unterschied ist,
dass es hier nicht um die Umwelt geht, sondern um die Entwickler-
Motivation, die durch die Regeln geschützt wird.

> Kurz gesagt wenn man Freizeitentwicklung von kommerziell genutzer
> software zu weit treibt gerät die Softwarewirtschaft (nicht diejenioge
> die Support anbietet) in Schieflage, weil dann quasi erstmal alle
> Entwickler beruflich etwas Anderes tun um ihren Lebensunterhalt zu
> sichern und anschließend ihre Freizeit zur Entwicklung von Software
> nutzen.

Software-Entwickler sind seit je her knapp. Was also werden die
ganzen qualifizierten Freizeit-Entwickler wohl hauptberuflich tun?
Sie werden doch ebenfalls Software entwickeln, oder nicht? Gut,
sie arbeiten dann nicht hauptberuflich an genau diesem Projekt,
aber es ist nicht so, dass sie einen völlig anderen Beruf ausüben
müssen, um an Freier Software mitarbeiten zu können.

Und wenn besagte Freie Software ein wichtiger Teil der Infrastruktur
des Unternehmens ist, wird es auch ein paar Arbeitsstunden an dieser
Software bezahlen - zumindest meiner Erfahrung nach ist das eine
recht übliche Form der Kooperation.

> 'Viele haben eine seltsame Einstellung zur Frage des Geldverdienens. Das
> muß "irgendwoher kommen", aber bloß nicht dadurch, daß man etwas tut,
> mit dem anderen im Bereich Freier Software geholfen wird. Ich denke, mit
> dieser Einstellung wird großer Schaden angerichtet, weil intelligente
> Menschen den Löwenanteil ihrer Fähigkeiten und ihrer Zeit dann
> zwangsläufig außerhalb des Bereichs Freier Software einsetzen müssen.'
> 
> > Nimm zum Beispiel den Linux-Kernel, da
> > arbeiten 'zig Firmen mit, die in die Entwicklung investieren, sich
> > also die Kosten quasi teilen, und jede investiert in genau die Ecken
> > des Kernels, die für sie am wichtigsten sind. Soweit ich weiß,
> > funktioniert das relativ gut.
> 
> Dieses Beispiel ist ja gerade NICHT problematisch, weil Firmen ihre
> Mitarbeeiter bezahlen.

Ja, eben! Laut deinem Linux-Hotel-Zitat müsste so ein riesengroßes,
in Freizeit gestartetes FOSS-Projekt doch eine Wettbewerbsverzerrung
ausgelöst haben, und man müsste die ganzen negativen Effekte hier
besonders gut sehen können. Was aber nicht der Fall ist.

Dieser Widerspruch löst sich meiner Ansicht nach dadurch auf, dass
man den Linux-Kernel nicht als Produkt betrachtet, sondern als eine
Infrastruktur, in die verschiedene Firmen hinein investieren, um
sie in den für sie wichtigen Bereichen weiter auszubauen.

> ich empfinde nur das sich die Diskussion
> an der Oberfläche bewegt und nicht dort wo sie mich interessiert,
> nämlich in der wirtschaftlichen Theorie.

Wenn die Grundannahmen schon fragwürdig sind, was nützt dann ein
tieferer Einstieg? Mal etwas überspitzt ausgedrückt: Was bringt
eine noch so ausgefeilte Theorie, wenn sie sich am Ende als Theorie
über die leere Menge entpuppt?

Vorallem eine Theorie ohne ein einziges konkretes Beispiel finde
ich sehr suspekt.


Gruß
Volker

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Volker Grabsch
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