[pkl] (nicht ganz so) kurzer Auftakt

Oliver Bandel oliver at first.in-berlin.de
Mo Feb 15 17:18:05 CET 2010


Hallo, liebe Leute,


es geht nun  also los in der PKL-Mailinglist.

Zur Einführung eine kurze Eräuterung dazu, was mich bewogen
hat, diese Liste zu gründen.

Nachdem ich mich seit einiger Zeit mit der Kybernetik
zweiter Ordnung (Second Order Cybernetics (SOC)) beschäftigt
hatte, und diese auch sehr interessant und anregend fand,
stieß ich auch auf Gotthard Günther und den Begriff der
Polykontexturalen Logik (PKL) bzw. polycontextural logic
(PCL).

Sodann las ich einige Texte von Rudolf Kaehr und Eberhard
von Goldammer, und wohl auch einigen anderen Autoren, deren
Papers unter Anderem auf Vordenker.de zu finden sind. An das
Buch von Thomas Mahler zur Morphogrammatik habe ich mich
noch nicht ran gewagt; das soll kommen, wenn ich mehr
Überblick auf dem Gebiete habe. (Die Seiten, wo das Buch
gehostet wurde, sind leider nicht mehr erreichbar. Es bleibt
für spätere Interessenten zu hoffen, daß jemand die Seiten
gesichert hat; evtl. ist es auf einem der Netz-Archive zu
finden.)


Warum nun die Polykontexturale Logik für mich von Interesse
ist? Nun, ich denke aus den bisher gelesenen Texten soviel
heraus gefunden zu haben, was die PKL (benutze ich meist
synonym auch für die Morphogrammatik und Kenogrammatik
ZUSAMMEN mit der eigentlichen PKL) leisten kann, daß ich sie
für unabdingbar für einen wirklichen Wissensfortschritt in
den Wissenschaften halte.

In der KI zum Beispiel kommt es mir seit einiger Zeit vor,
daß es sich da um informationstechnische Alchemie handelt,
wo verschiedene Wege auf theoriearme (nicht gleichbedeutend
mit "publikationsarme") Weise einfach ausprobiert werden,
und man nicht systematisch forscht, weil dazu die
Erkenntnismittel fehlen. Man gibt sich also einer blinden
Evolution hin, mit herumstochern im Nebel und dem Hoffen auf
gute Ergebnisse, statt systematisch - mit neuen
Erkenntnismitteln (die so neu vielleicht garnicht sind, nur
halt nicht sehr bekannt/verbreitet) voran zu schreiten.

Bei den Biowissenschaften und anderen Wissensfeldern (Soziologie,
Psychologie, ...) siehtes wohl nicht viel anders aus.
Selbst in der Physik sollte einiges wesentlich besser
bergeifbar werden, wenn man sich mit Gotthard Günther genauer
beschäftigt. Dabei könnte man
denken (mit Heinz von Foerster), daß diese "hard science" ja
nur mit "soft problems" daher kommt... ...wieviel
schwieriger wird die Lage dann in den "soft sciences" mit
ihren "hard problems"?! (Die Unterscheidung ist aber wohl eh
hinfällig, trifft das Subjekt man doch in der Quantenphysik
doch eh auf sich selbst, wenn es seine eigene Messung
beeinflusst... an der PKL kommt man daher wohl eh nicht
vorbei.)


Zu den vielen Dingen aus diversen Disziplinen können andere
Leute sicherlich noch viel mehr sagen. Mein Background: ich
habe Nachrichtentechnik an der TFH Berlin studiert, mich
aber immer auch für andere Themen interessiert.

Ein paar kleinere, bescheidenere Probleme als die oben
genannten der KI und der Biowissenschaften haben mich immer
wieder mal darüber grübeln lassen, wie denn die PKL (und
Co.) dazu beitragen können, einige einfache Probleme der
Wissenschaft zu lösen. Vom Problem der Elementarteilchen
(Welle-Teilchen-Dualismus, Heisenbergsche Unschärferelation,
dazu hat Eberhard von Goldammer einige Texte geschrieben)
will ich garnicht erst anfangen (wären wohl auch eher
etwas komplexere Themen).


Mir geht es derzeit 8erst mal) um so nette Dinge wie chinesische
Würfel. Wie kann man die dort auftretenden Paradoxien formal
fassen?

Kurz zu den chinesischen Würfeln: Man hat drei Würfel, die
nicht nur anders aufbebaut sind als unsere Würfel (deren
Augenzahl-Summe der gegenüberliegenden Seiten immer sieben
ist), sondern jeder dieser drei Würfel hat auch eine andere
Beschriftung als die jeweils beiden anderen.

Die Würfel seien mit A, B und C bezeichnet. Wir haben nun
zwei Spieler, die diese Würfel anwenden, wobei jeder Spieler
immer nur einen Würfel benutzt, während der andere den
anderen Würfel benutzt. Es werden also immer Zweierpaare der
drei Würfel gebildet.

Mit den Gewinnwahrscheinlichkeiten der Zweierpaare verhält
es ich nun so:
  - Würfel A ist gegenüber Würfel B im Vorteil
  - Würfel B ist gegenüber Würfel C im Vorteil
  - Würfel C ist gegenüber Würfel A im Vorteil


Will man also den besten Würfel, also den mit den _optimalen_
Gewinnchancen herausfinden, kommt man nicht weit indem man
den Sieger der beiden ersten Tests aussucht und sich mit dem
Transitivitätssatz für Würfel A entscheidet:

   "Weil Würfel A bessere Gewinnchancen hat als Würfel B, und
   Würfel B bessere als Würfel C, muss Würfel A also auch
   gegenüber Würfel C gewinnen."

Das klingt gut, funktioniert aber nicht, weil Würfel C
gegenüber Würfel A langfristig gewinnt.


Dieses nette chinesische Würfelspiel bringt das klassische
Denken ins Wanken (und ist doch so viel interessanter als
einfache Hütchenspielerei).

Und obwohl es sich "nur um ein Spiel" handelt, tritt diese
Problematik auch auf anderen Gebieten auf, zum Beispiel in
der Ökologie, bei Simulationen von Populationen, wenn man
mehr als nur zwei Populationen simuliert. Und das taucht
dort nicht nur bei Simulationen auf, sondern auch "in the
real world", dies konnte also an realexistierenden
Tierpopulationen nachgewiesen werden.

Siehe zum Beispiel:
   http://www.tb.ethz.ch/education/model/RPS/frean.pdf

oder für weitere Texte die Übersichtsseite:
   http://www.tb.ethz.ch/education/model/RPS/index



Das heisst, das Problem der chinesischen Würfel taucht also
nicht nur beim chinesischen Würfelspiel auf.

Wenn man mit diesen beiden Beispielen im Kopf eine Zeit lang
durch die Welt läuft, werden einem sicherlich noch weitere
Beispiele einfallen (Wahlparadox (Condorcet-Paradox) fällt
hier wohl auch hinein).


Mit der PKL & Co. sollten diese Problemlagen modellierbar
sein, und die Struktur der Problemlagen sollten damit
formalisierbar sein.


Meine Interessenlage geht dann auch noch in andere Richtung,
zum Beispiel, wie man die PKL ( & Co.) benutzen kann, um die
verschiedenen gleichzeitig (und in gewissem Maße
beobachterabhängigen) Kategorien der Bewegungsanalyse nach
Rudolf von Laban strukturell beschreiben kann. Bisher finde
ich es sehr unbefriedigend gelöst. Die Praktiker kümmert das
wenig, aber ich würde schon gerne die ganze Sache
strukturierter haben... z.B. wie es sich denn verhält, wenn
ein (oder mehrere) Beobachter eine (ein und dieselbe)
Bewegung in den verschiedenen Kategorien des Anbtriebs (hat
alleine schon vier Unterkategorien), der Form , der
Formveränderung usw. beschreiben. Da gibt es bisher nur:
"na, die (Kategorien) sind eben alles gleichzeitig da" und
"wir haben alle eine eigene Sicht auf die selbe Bewegung,
und die hängt von der individuellen (also Subjektiven)
Bewegungs-Erfahrung ab" (da gibt es zum Beispiel die
Begriffe "Body-prejudice" bzw. "Movement-prejudice").

Das interessante an der PKL, Morphogrammatik, Kenogrammatik
und weiteren Konzepten (was genau sind eigentlich die
"dialektischen Zahlen", von denen Eberhard von Goldammer mir
letztens schrieb?) ist ja, daß auch Subjektivität modelliert
werden kann, sowie das GLEICHZEITIGE Wirken mehrerer
Prozesse, was in der Informatik immer vergeblich in
serialisierte Form heruntergebrochen werden soll (und
muß!)). Und dies ist ja der Schlüssel zur Beschreibung von
Selbstreferenz, und letztlich ECHTER künstlicher (und
nicht-künstlicher) Intelligenz.


Um noch einmal auf das Beispiel der chinesischen Würfel
zurück zu kommen: diese Würfel werden genauso fallen, wie
die uns bekannten in Europa. Und das werden sie wohl auch
"ohne Ansehen des Gegenübers" (des Mitwürfels,
Mitspieler-Würfels, oder auch Würfelgegners/Gegenwürflers).
Dennoch sind die Ergebnisse der Vergleiche der
Spielergebnisse unterschiedlich. Dies kann daher, wenn man
eben gemachte Voraussetzungen des Fallens der Würfel
beibehält, nur an dem Zusammenspiel der Bezeichnung der
Würfel (welche Augenzahl die einzelnen Würfel auf ihren
Seiten aufgemalt bekommen) sowie des Kriteriums, wann denn
ein Würfel gegenüber dem anderen gewinnt (höhere Augenzahl)
liegen. Welche Schlussfolgerungen dieses Zuammenhangs von
aufgemalten Symbolen und dem ausgedachten
Bewertungskriterien kann man ziehen? Die Würfel fallen wie
immer, aber die Wirkung auf den Beobachter/Spieler ist eine
andere. Und: welche Änderung in Beschriftung und Bewertung
(beides dem Subjekt entsprungen, das sich für eine Bemalung
und Bewertung entschied) kann/muss man vornehmen, um andere
Ergebnisse zu erzielen? Kann man sich eine Win-Win-Situation
herbei führen, wo beide Spieler gewinnen? (Vielleicht über
andere Symboliken, oder Farben? Spieler Eins gewinnt in
Augenzahl, aber Spieler Zwei bei der Farbauswahl?) Und wie
wären für etwas dunklere Gemüter (bisher noch unbekannte?)
Lose-Lose Spiele zu erzeugen? ;-)

(Und welche Bedeutung hat das Ganze im Zusammenhang mit
Wahlparadox und Populationsdynamik? Und wie sieht es dann
bei komplexeren Sywstemen aus? Die bisherigen Beispiele sind
ja alles noch recht einfache Systemstrukturen...)


Diese Liste habe ich ins Leben gerufen, da das Thema der PKL
selbst bei den Kybernetikern (inkl. SOC) doch etwas
stiefmütterlich behandelt wird, obwohl Gotthard Günther doch
auch am BCL war, dem Geburtsort der Kybernetik zweiter
Ordnung.

So, das war als Auftakt / Einführung vielleicht ein bischen
länger geraten, als ich es anfangs vor hatte, ich hoffe, es
dient um so eher zum Starten interessanter Diskussionen. Ich
hoffe hier vieles aufgreifen, aber auch einbringen zu
können.

...stechen wir nun also in See.... auf zu neuen Ufern!  :)


Besten Gruß,
     Oliver Bandel

P.S.:
   Nicht zur Pflicht erheben, aber freuen würde ich mich drüber, wenn die
   anwesenden Listenmitglieder sich kurz mit Ihrem Interessenschwerpunkt und
   Background vorstellen könnten. Aber ich will es auch nicht zu formal
   handhaben hier.

   Apropos "formal": mit einigen Listenmitgliedern bin ich schon
   "per Du", mit anderen "per Sie", viele werde ich noch garnicht kennen;
   in Internetdiskussionen ist es mir üblich
   geworden, die "Du"-Form zu benutzen, ich hoffe, das führt hier nicht zu
   Unstimmingkeiten, wenn ich die Anrede wechseln sollte.... ...oder  
ich belasse
   es dann bei Unklarheit bei einem einfachen "Hallo,"?





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