[pkl] Isolation von Kontexturen im wissenschfatlichen Prozess - Gedankenansätze (mit Fragendem Unterton im Hinterkopf)

Eberhard von Goldammer vgo at xpertnet.de
Do Jan 24 09:27:52 CET 2013


Lieber Oliver, ich melde mich auf diese Problematik wenn ich etwas weiter
bin mit meinen Anmerkungen zu "Achilles and the Tortoise". Dann kannst Du
auch als Testleser fungieren.
Viele Grüße
Eberhard

-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: pkl [mailto:pkl-bounces at mlists.in-berlin.de] Im Auftrag von oliver
Gesendet: Mittwoch, 23. Januar 2013 02:32
An: PKL-Mailinglist
Betreff: [pkl] Isolation von Kontexturen im wissenschfatlichen Prozess -
Gedankenansätze (mit Fragendem Unterton im Hinterkopf)

Hallo,


seit einer Weile geht mir folgende Thematik durch den Kopf:

Heinz von Foerster formulierte mit
  "Objectivity is a subject's delusion that observing can be done without
them."

eines der Grundprobleme der Wissenschaft.

Und letztlich war dieses Thema ja die Grundthematik der Kybernetik zweiter
Ordnung (2nd order Cybernetics).

In der Kybernetik zweiter Ordnung (die Kybernetik der Kybernetik) wurde der
Beobachter (aka Subjekt) als wichtiges Element des Forschungsprozesses
identifiziert.

Im Gegensatz zum klassischen wissenschaftlichen Herangehen, wo der
Beobachter, also das Subjekt / das Subjektive aus dem wissenschaftlichen
Prozess mithilfe geeigneter Forschungsmethoden au dem "objektiven" Ergebnis
entfernt wurde, um so sicherzustellen, daß die gewonnene Erkenntnis
universell bzw. über-Subjektiv ist, geht die Kybernetik zweiter Ordnung
anders an das Problem heran: das Subjekt wird mit in die Beschreibung der
Untersuchung/Forschung hinein genommen, und die eigenen Grundlagen der
Aussage des Subjekts (Beobachters) über das Objekt (Untersuchungsgegenstand)
werden mit untersucht.

So muss also nicht nur eine Aussage des Subjekts über das Objekt vorgenommen
werden, sondern die Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchung werden
noch einmal daraufhin untersucht, in wie weit die Ergebnisse nicht Aussage
über das Objekt sind, sondern Artefakt des benutzen Erkenntnisapparats, der
diese Untersuchung durchführte.

Mit anderen Worten: der Ansatz, das Subjekt aus der Untersuchung heraus zu
halten, um objektive Aussagen treffen zu können wird ersetzt durch den
Ansatz, das Subjekt, (das ja unweigerlich immer in der Formuliuerung
wissenschaftlicher Aussagen auftritt, auch wenn es sich selbst dabei heraus
zu halten versucht) selbst mit zu untersuchen, und so den eigenen Bias zu
explizieren.

Statt Verleugnen des eigenen Bias, der eigenen Perspektive, der eigenen
Subjektivität (individuell, kulturell, methodisch ...) wird also versucht,
die eigene Perspektive zu benennen, und daher wird - zumindest prinzipiell -
den Versuch unternommen, über den eigenen Erkenntnisfilter zu reflektieren.

Im Sinne einer Störgrößenaufschaltung könnte man sodann den Weg gehen, den
eigenen Bias, die perspektivische Verzerrung "herauszurechnen".

Soweit so gut.

Der Ansatz ist, so denke ich, erst einmal schon ein Fortschritt.

Das Problem bei der Kybernetik zweiter Ordnung (2nd-Order-Cybernetics) ist
jedoch, daß man das grundlegende Problem nicht erkannt hat.

Auch bei der 2nd Order Cybernetics (SOC) hat man das Schema der antiken
griechischen Philosphen übernommen, das die Welt in Subjekt und Objekt
einteilt.
Darauf beruht die gesamte westliche Philosophie, darauf beruhen Wissenschaft
und auch Theologie.

Hier das Subjekt, das in die Welt schaut, dort das Objekt der Betrachtung,
welches in der Welt ist.

Was kann das Subjekt über die Welt (Objekt) aussagen?

Das Grundthema der Erkenntnistheorie.

Dieses duale Grundschema von Subjekt versus Objekt wurde also sowohl in der
Philosophie, wie auch der klassischen Wissenschaft vertreten und benutzt. Es
bildet die gesamte Grundlage.

Die 2nd order Cybernetics hat zwar den Beobachter (also das Subjekt) mit in
die eigenen Betrachtungen hinein genommen, es also nicht mehr
ge-/verleugnet.
Dies war ein wichtiger Schritt.
Jedoch wurde das grundschema hier das (einzelne) Subjekt, dort das
(einzelne) Objekt nicht aufgelöst.
Das war auch der Grund, wieso die Kybernetik zweiter Ordnung im Solipsismus
endete.

OK, ok, Heinz von Foerster hat einen Kunstgriff angewendet, um dem
Solipsismus zu entgehen.
Nachzulesen in "Über das Konstruieren von Wirklichkeiten" (On Constructing a
Reality).

Dies ist jedoch insofern ein Kunstgriff, als er dem Solipsismus IM
NACHHINEIN entkommen will, indem er seine Argumentation - nach dem er
bereits von seinem Ausgangspunkt startend, im Solipsismus endete -,
aufweitete.

Er kommt also, von seinem argumentativen Ausgangspunkt startend nicht am
Solipsismus vorbei, und schummelt sich um die Konsequenzen seiner eigenen
Argumentation herum.
Man mag Heinz von Foerster wohlwollend zugute halten, dies sei halt ein
argumentativer Weg, erst in eine Richtung zu führen, und dann den Fokus
aufzuweiten, um etwas neues einzuführen. Aber ich denke, mit diesm
Wohlwollen ist ihm unrecht getan; vielmehr sieht es mir nach Heinz dem
Magier aus, der mal eben Hütchen-spielen geht, falls er sich ins Aus
gespielt hat.

Der meines Erachtens sinnvollere Weg wäre gewesen, mehrere Subjekte (Männer
mit Hüten) nicht erst im nachhinein herbei zu zaubern, sondern solch einen
Ansatz von vornherein zu wählen.

Gotthard Günther ist diesen Weg gegangen.
Und statt Hütchenspielertricks hat man ein solides System von ihm bekommen.


Die solipsistische Konsequenz Herangehensweise zeigt sich als eine
autistischen Rekursion: Das Errechnen der Realitäten im Kreiprozeß (bzw.
spiraligen Prozessen, oder auch chaotischen Ergebnissen von Rekursionen).

Solange man nur auf das Subjekt und das Objekt fokussiert bleibt, dreht man
sich im Kreise, und aus dem/jedem kreative Zirkel (Varela) wird ein
Teufelskreis.


Wissenschaft ist nicht die Leistung nur einzelner; es bedarf also mindestens
eines zweite Subjekts. Ohne Sprache keine Wissenschaft, aber ohne ein
zweites Subjekt auch keine Sprache. Es bedarf also (real und in der
erkenntnistheoretiscdhen Modellierung) mindestens zweier, besser n Subjekte,
um Wissenschaft auszuführen bzw. darzustellen.

Erst dieses gemeinsame Wirken mehrerer Subjekte im prozess der
wissenschaftlichen Erkenntnis kann die Leistung vollbringen,
wissenschaftliche Sätze zu formulieren, die sich dann als wahr oder falsch
herausstellen.


So frage ich mich halt seit einiger Zeit: bedarf es nicht der
Polykontexturalen Logik Gotthard Günthers, um den wissenschaftlichen
Erkenntnisprozess zu modellieren.
Denn schliesslich ist es eine Sache, die klassische Aussagenlogik zu
benutzen und wahre/falsche Aussagen zu ermitteln.
Das ist dann letztlich "nur noch" Anwendung von Logik, und im
Forschungsprozess das Abarbeiten von Fragestellungen, durchführen von
Messungen.

Aber es bedarf doch der Subjekte (der wissenschaftlichen Forscher), um einen
logischen Ort (Kontextur?) so zu definieren (und letztlich von seiner
Umgebung zu ISOLIEREN), daß dann im Nachhinein nur noch Boolsche Algebra und
ein paar ähnliche Ingredenzien benutzt werden brauchen, um Ergebnisse
wissenschaftlicher Art zu produzieren.


Um also so "objektive" Ergebnisse zu produzieren, wie sie die Wissenschaft
heutzutage hervor bringt, müss allerlei Subjektivität (und kreativität) im
Spiel sein, um die Welt (in Form von Messaufbauten / Experimenten) lokal so
zu gestalten, daß sich solch isolierte Aussagen überhaupt formulieren und
testen lassen!

Das heisst: durch die herangehensweise der "objektiven Wissenschaft", welche
das Subjekt VON VORNHEREIN aus dem Erkenntnisprozess hinweg definiert hat,
ist das Subjekt (Beobachter) vollkommen unkenntlich geworden.
Das Subjekt ist verschwunden - nicht in der Realität, aber aus dem Blick!

Der blinde Fleck, von dem Heinz von Foerster sprach, ist hier das Subjekt.

Es ist aber nicht weg, nur nicht sichtbar.

Es ist aber immer mit involviert.

So kann man in Sionyi's Kulturgeschichte der Physik eine Erwähnung/Vermutung
finden, daß es wohl kein Zufall war, das gewisse Asymmetrien in der
Quantenphysik von einem Asiaten entdeckt wurden, da diese mit ihrem
Ying-Yang einen besseren Zugang hatten, als westliche Forscher mit ihrem
symmetrischen und linearen Denken.
(In der Logik die Umtauschung von WAHR in FALSCH und FALSCH in WAHR,
klassische Negation.)

Kulturelle Einflüsse in der Forschung hatte ja auch schon P.K. Feyerabend
als Argumente angebracht.
So sprach P.K. Feyerabend alten Mythologien durchaus eine Aussagekraft zu,
sah sie als alternative Weltmodelle als Gleichwertig mit der modernen
Wissenschaft an.

An dem Punkt mag ich ergänzen: Vorläufer: ja. Mit Sinngehalt: ja.
Aber nicht gleichwertig, weil heutzutage von der ausdifferenzierteren und
auch formalisierten Wissenschaft längst abgehängt (wenngleich man sagen
darf: manch eine Erkenntnis wurde wohl auch leider mit entsorgt, die
womöglich heute neu einzubringen wäre).

Heutzutage also nicht mehr adäquat, in damaligen Zeiten aber als
Medthode/Weltbild-der-Zeit womöglich up to date.


Wissenschaft als n-subjekte-Prozess, bei dem Kommunikation und
Multi-perspektivlichkeit hilfreich, nein, geradezu notwendig sind, um
Erkenntnis voran zu bringen.

So war der Ansatz, die Subjekte aus dem Forschungsprozess heraus zu halten,
und dies durchgeführt durch die vielen, über viele Länder verteilten
Forscher, ein Ansatz, die jeweils persönlichen, kulturellen Einflüsse aus
den Forschungsergebnissen heraus zu halten.
Insofern war der Ansatz der klassischen Objektivität der kleinste gemeinsame
Nenner, den Wissenschaft brauchte, um allgemeingültig zu sein.

Man konnte damit "die Welt" (das Objekt / die Objekte / die Objektive Welt)
erklären, aber eben nur auf diesem kleinsten gemeinsamen Nenner.

Wenn es aber darum geht, das Denken / Subjektivität / Denkprozesse zu
erklären, dann bedeutet dies, den Blick auf das Subjekt zu richten.


Gotthared Günther sagt dazu:

  "Der Schein entsteht, wenn ich über das Subjekt rede, denn ich kann nicht
  anders über das Subjekt reden, als dass ich es als Gegenstand nehme, das
  heißt, indem es Objekt für mich wird, und damit nicht mehr das ist, was es
  ist. Das Reden, Urteilen über ein Subjekt verkehrt es in sein Gegenteil."


Da aber Wissenschaft selbst ein Prozess ist, der der Subjektivität bedarf,
muss Erkenntnistheorie auch die Subjekte mit HINEIN nehmen in die
Un6tersuchung, und dies auch, wenn sie die Wissenschaft nicht ausser acht
lassen will, denn Wissenschaft ist ein soziales Unterfangen, und
Gesellschaft bedarf der Subjekte.


So kann dann in den Neurowissenschaften nicht einfach davon ausgegangen
werden, daß man Denken / Geist / Denkprozesse / Subjektivität erkennen kann,
wenn der Ansatz der ist, diese Subjektivität schon von vornherein
auszuschliessen.

Hier beisst sich die Katze in den Schwanz.


Ganz konkret auf den wissenschaftlichen Prozess bezogen habe ich also die
Frage, ob man klassische Wissenschaft überhaupt noch guten gewissens
betreiben kann, wenn man einmal an der PKL gerochen hat.

Denn jegliches Schnipselchen "objektiver" Wissenschaftsaussage beradf des
Subjekts zur Formulierung.
Da wir mit rekursiven Schleifen der 2nd Order Cybernetics nicht zu Lösungen
kommen, sondern uns im Kreis drehen, komme ich zu dem Ergebnis, daß auch
klassische Wissenschaft aus Sicht der PKL allmählich mehr in de Licht gesehn
werden muß, daß sie sich mehr und mehr den alten Mythen annähert, auf die
P.K. Feyerabend bezug nahm.

Und so darf ich dann sagen: sehr wirksam, hat uns bis zum Mond gebracht und
noch weiter, aber blind gegenüber sich selbst und daher in zeiten von
Selbstreferenz (über das Denken nachdenken und auch dran herum forschen)
nicht mehr adäquat.


Welche Fragen werden wie gestellt, welche Experimente wie designt, damit man
auf eine einzelne, isolierte Frage mit WAHR/FALSCH antworten kann?

Soweit dazu.


Ich hoffe, ich konnte vermitteln, was mir seit einiger Zeit zur PKL und
Wissenschaft so durch den Kopf geht.


Ich hoffe, daß dies auch für andere leser der Liste irgendwie einen Sinn
macht, aber selbst wenn nicht, das musste mal gesagt werden ;-)


Gruß,
   Oliver


P.S.: Ich habe diese Mail in einem durch formuliert / geschrieben, es kann
also zu Dopplungen
      gekommen sein und das eine oder andere mag womöglich bei einer
Überarbeitung knackiger
      formuliert hätte werden können.
      Aber ich wollte das mal so formulieren und hören, was an Feedback dazu
kommt.
      Eigentlich fällt es mir leichter, in Diskussionen auf den Punkt zu
kommen,
      statt "aus dem Nichts heraus" Aufsätze zu urknallen.
--
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