[linux-l] OT mir ist schlecht, siehe Link

Thorsten Stöcker tstoecker at baerensoftware.de
Do Aug 30 02:10:28 CEST 2007


Am Donnerstag, 30. August 2007 00:34 schrieb Peter Ross:
Hallo Peter,

> ich denke, das Schoenreden der Vergangenheit haengt auch damit zusammen,
> dass die Blockwart-/Spitzelmentalitaet und andere Haesslichkeiten, die
> totalitaere Regime recht geschickt ausgenutzt haben, tief in der
> Alltagskultur verwurzelt sind.
>

:-) auch wenn es einfach nicht zum Grinsen ist, ich weiß wovon Du redest, ich 
habe es am eigenen Leib erfahren. Ich habe es per öffentlichem Dokument als 
Tatsache festgestellt. Ich habe in Frankfurt/Main wohnend, meine Großmutter 
in Berlin gegen ihren Willen ins Heim gesteckt. So Kleinigkeiten wie 
ärztliche Diagnose, Demenz, 600km räumliche Entfernung, die Unterschrift 
meiner Tante unter dem Heimvertrag spielen keine Rolle. Der deutsche Richter 
ist in seiner Beweiswürdigung frei. Der ausgemachte Schwachsinn eines dezent 
senilen Richters hat 60.000€ gekostet, bisher. Dank einiger 
unterbeschäftigter Nachbarn, deren Bildungsniveau noch unterhalb der 
Schwarzwaldklinik liegt und die als Zeugen aussagen. Ach ja, der Vater der 
Zeugin war Blockwart und mußte betonen, das er entnazifiziert worden ist, die 
Tochter ist stolz darauf CDU zu wählen.

> Wie auch immer, die Allgegenwart der ehrenamtlichen Spitzel hat zu einer
> ganz anderen Selbstzensur gefuehrt, als es jetzt der Fall ist.
>

Nein und ja. Nein, weil es auch jetzt noch davon abhängt, wo Du politisch 
stehst und ja, es ist nicht allgegenwärtig.

> Diese Diskussion haette zum Beispiel in einem offenen Kreis wie diesem gar
> nicht stattgefunden. Und damit meine ich nicht die technische Moeglichkeit
> einer Mailingliste, sondern die Gesellschaft, in der das stattfindet.
>

Das ändert aber nichts an dem grundsätzlichen Problem. Ich will es mal so rum 
ausdrücken, es ist sehr viel subtiler und erfolgreicher, den Leuten einige 
Freiheiten zu lassen und mitzuloggen, als  alles im Keim zu ersticken. 
Freiheit die ich meine, sieht anders aus.

> Dass die technischen Moeglichkeiten zur Ueberwachung besser geworden sind,
> auch zur Auswertung, bestreite ich nicht. Wobei halt in entscheidenden
> Momenten eben doch haeufig viel daneben ging. Fuer 9/11 z.B. waren eine
> Menge Indizien gesammelt worden, aber keiner war in der Lage, das Puzzle
> zusammenzufuegen.
>

Oh, 9-11 ist ein typisches US-Problem. In D wäre das nicht passiert. Das ist 
eine Mentalitätsfrage. Jemand hat es auf den Punkt gebracht, der Deutsche 
flucht wenn es schief läuft, der Amerikaner schweigt. Ich habe in leitender 
Position für ein amerikanisches Unternehmen gearbeitet und das Board war sehr 
irritiert, wenn ich Probleme angesprochen habe und zwar deutlich.

> Ich habe nicht vor, die Beschraenkung von buergerlichen Freiheiten
> hinzunehmen und zu foerdern. Aber die Verharmlosung der Stasi gefaellt mir 
> ganz und gar nicht. 

Ich will die Stasi nicht verharmlosen, es ist mehr so, ich will den Blick auf 
die Methoden schärfen und die unterscheiden sich von denen der Stasi nicht 
besonders. Als West-Berliner mit Verwandschaft in der DDR kann ich da schon 
ein Wörtchen mitreden

> Die Kultur des Wegschauens gegenueber den Haesslichkeiten, die in der
> Masse verankert sind, ist doch extrem. Nein, eine organisierte Rechte war
> es nicht in Muegeln, oder wie das Nest hiess..
>

Doch, leider. Ich habe einige Zeit in der organisierten Linken verbracht, die 
Strukturen sind für Aussenstehende nicht durchschaubar. Als der Schwarze 
Block (völlig zu recht in meinen Augen) zur Demonstration in Müggeln 
eingefallen ist konnte sich das niemand erklären. Aber ich versichere Dir, 
die hätten die Stadt abfackeln können und man wäre genauso hilflos gewesen.

> Wie sehr man seit Jahren, bald zwanzig, in Ostdeutschland den Verfall
> einer Ordnung kleinredet, die nicht mal fuer koerperliche Sicherheit
> garantiert, ist doch unglaublich.
>

Welche Ordnung? Mann, der Osten hängt am Tropf, nicht nur in wirtschaftlicher 
Hinsicht. 56 Jahre Diktatur, das hängt den Leuten in den Köpfen. 10 Jahre hat 
der menschgewordene Saumagen 1990 vorgegeben, ich habe von 2 Generationen 
gesprochen. Es werden wohl eher drei werden.

> Ich bin viel mit Freunden uebers Land gewandert, vorallen in Mecklenburg,
> meiner Heimat, und in Brandenburg. 

MacPom, leer und arm. Keine Perspekzive. Idealer Nährboden.


> Die Toleranz Jugendlicher ist dort 
> gleich null. Nicht nur gegenueber Auslaendern. Wenn ich dort ein Bier
> getrunken habe und irgendein Glatzkopf auf die Idee kam, mein Freund und
> ich koennten ja schwul sein, war die Atmosphaere nicht besonders
> entspannt, um es vornehm auszudruecken.
>

Ja, ich habe so eine gewisse Vorstellung davon. Mit den Glatzen bin ich auch 
schon ein paar Mal aneinander geraten. Das sind so die Momente, wo ich mir 
eine 9mm wünsche und hoffe das es nicht zur Eskalation kommt. Wie hat mal 
jemand gesagt, der Klügere gibt nach.. Meine Ergänzung, deshalb regiert die 
Dummheit. 

> Und wenn es auch im Westen unmoeglich zu sein scheint, Tuerken zu
> integrieren, wenn ganze Wohnviertel westliche grossstaedte zu Problemzonen
> werden, mit Schulen, die ausser Rand und Band geraten sind, ist das
> vielleicht auch ein paar Fragen wert, ob das an der "Ueberfremdung" liegt,
> die Tuerken selbst dran schuld sind etc.
>

Jede Medallie hat 2 Seiten und die mangelnde Integration ausländischer 
Mitbürger ist auch etwas, was das Versagen beider Seiten aufzeigt. 
Problemschulen entstehen nicht, sie werden erzeugt.

> Ich wohne hier in Port Melbourne, wo sich seit den Fuenfzigern viele
> Griechen niedergelassen haben, oft aus laendlichem Griechenland, billige
> Arbeitskraefte fuer den Hafen und die Fabriken drumherum. Heute sind viele
> von ihnen wohlhabend, ihre Kinder sind nicht zuerst Griechen, sondern
> Australier, die einen griechischen Background haben. Meine Tochter geht in
> eine Schule, in der vielleicht die Haelfte griechische Nachnamen haben,
> und das ist eine ganz normale Schule. Die englische Sprache ist im
> Unterricht genausowenig ein Problem, wie es kein Problem ist, meine
> Tochter abzuholen, und dann mit ihr deutsch zu reden, wie andere Kinder
> mit ihren Eltern auch deren Sprache reden.
>

Mal ganz abgesehen davon, das die Sträflingskolonie eine lange Tradition darin 
hat, schwierige Mitbürger zu integrieren, ist englisch im Gegensatz zu 
deutsch, russisch oder chinesisch eine banale Sprache. 

> Das Gleiche gilt fuer alle anderen Minderheiten in Melbourne. Und wenn es
> orthodoxe Juden in St.Kilda East sind oder Somalier im Hochhaus um die
> Ecke, oder die Vietnamesen von Footscray, die distinktiv anders aussehen,
> sie sind selbstverstaendlich Teil der Gesellschaft.
>

Oh, das sind sie hier auch. Ich bin mir sicher, das der Rassismus auch in Aus 
existiert, er ist vielleicht etwas subtiler, aber die Aborginals sind ein 
gutes Beispiel. Es ist das immer gleiche Problem, in verschiedenen 
Ausprägungen und verschiedener Intensität. Der Mob ist der Durchschnitt. Der 
Durchschnitt ist aber (entgegen der landläufigen Meinung) nicht daß Maß der 
Dinge, sondern das Mittelmaß. 

> Zu einer solchen Integration scheint das Deutschland nach dem 2.Weltkrieg
> nicht mehr faehig zu sein.
>

Deutschland, weiß ich nicht, Berlin definitiv ja. Die Stadt hat die Polen, die 
Franzosen (Hugenotten und französiche Streitkräfte), die Juden und auch viele 
Türken, die Vietnamesen und vieles ander integriert. Der Berliner Dialekt ist 
voll von Ausdrücken  aller möglichen Sprachen: Jidisch, französiche, 
polnisch, türkisch. Was die Probleme im Osten nur bedingt löst.

> Aber es ist natuerlich einfacher, auf andere oder halt den boesen Staat zu
> zeigen, als sich mit den in der eigenen Kultur verwurzelten Problemen
> auseinanderzusetzen.
>

Weißt Du, wir werden die Probleme dieser Welt nicht hier und heute lösen. Es 
ist einfach nur eine Frage der Intelligenz und der Bildung. Die Personen mit 
einem IQ oberhalb von 100 bilden genauso eine Minderheit, wie die Leute mit 
einem IQ unterhalb von 100. Keiner schreibt darüber wenn Du zu Deinem 
türkischen Nachbarn nett bist, aber alle schreiben darüber, wenn Du ihn 
verprügelst.  Naja, und es gibt Leute die bleiben hier und Leute die nach 
Australien gehen. Die Frage ist nicht, wer wen beschuldigt, sondern warum 
wird jemand beschuldigt. Xenophobie ist ein grundsätzliches Problem, es ruft 
Unverständnis hervor für jede, dem eigenen Denken fremde Vorstellung. Genauso 
wie Du Dir die Denke der Glatzen nicht vorstellen kannst, können die sich 
Deine Denke nicht vorstellen, Du versuchst Dein Problem mit Worten zu lösen, 
die mit der Faust oder früher mit der Stasi.

Ich will weder die Stasi schönreden, noch die Glatzen, man sollte nur 
versuchen die Mechanismen dahinter zu verstehenm, sonst begibt man sich auf 
das gleiche Niveau. Und das heißt Stasi 2.0 oder meinetwegen Glatze 2.0. 

Gruss
Thorsten
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