[linux-l] Bash und History

Volker Grabsch vog at notjusthosting.com
Sa Nov 15 23:37:36 CET 2008


Frank Lehmann <eggsperde at gmx.net> schrieb:
> Hi Peter,
> > Nichts ist schlimmer als gesundes Halbwissen. Es vermittelt den Eindruck, 
> > man wisse Bescheid, und schießt sich so gern mal in den Fuß.
> > 
> > Manchmal ist Nichtwissen besser. Dann hat man wenigstens "Ehrfurcht" und 
> > verschlimmbessert nicht.
[...]
> Noch vor 200 Jahren war das Un-/Halbwissen über Atome und Elektronen
> unglaublich groß, vor 500 Jahren war die gängige Lehrmeinung, dass die
> Erde eine Scheibe sei. Wissen entwickelt sich weiter - und die Kenntnis
> von Apache-Konfigurationsparametern gehört sicher auch dazu.

Konfigurationsparameter kann man testen. Manpages, Howtos, etc. sind
mit erträglichem Aufwand verifizierbar. Weltmodelle hingegen nicht, sie
sind höchstens durch Experimente falsifizierbar. Zudem werden Konfi-
gurationsparameter nicht mit der Zeit entdeckt, sondern von Programmierern
explizit in die Software eingebaut und im Handbuch vermerkt.

Wissen über Software und Wissen über die Physik sind in vielen
Punkten grundverschieden, daher funktioniert deine Analogie nicht.

Das Problem ist doch ein ganz anderes: Nur wenige machen sich überhaupt
die Mühe, ihre einmal hingetippten Howtos auch nur ein einziges Mal komplett
durchzuspielen.

Ganz früher habe ich auch so (schlampig) gearbeitet, doch nach einigen
heilsamen Erfahrungen teste ich nun grundsätzlich _jede_ Doku, die ich
produziere, und fast immer fallen mir dabei noch kleine Fehler auf.

Das läuft etwa so: Ausprobieren, nebenher Doku schreiben, es läuft!,
alles wieder entfernen, Doku stur abarbeiten, dabei Fehler korrigieren,
nochmal alles kaputt machen, Doku stur abarbeiten, es lauft!

Es dauert etwas länger, hat aber den Vorteil, dass die Doku danach
_wirklich_ vollständig ist, und dass sie per Copy & Paste in die
Kommandozeile anwendbar ist. Außerdem hat das den Vorteil, dass man
mit der Zeit lernt, welche Fehler typischerweise in einer Doku drin
stecken.

So kann man sie bei zukünftigen Dokus von vornherein besser
vermeiden, und man kann fremde Dokus schneller einschätzen und
kritische Punkte erkennen, die man lieber nochmal woanders
nachschlägt, und am besten nochmals selbst verifiziert.

Doch diese Mühe machen sich nur wenige. Halbwissen ist leichter zu
produzieren, daher gibt es im Netz viel, viel mehr davon.

> [Ich glaube einfach an eine Evolution des Wissens, so wie auch freie
> Software reift - die Seite mit dem "gefährlichen Halbwissen" über die
> Apache-parameter wird sich sicher nicht all zu lange im
> Google-Gedächtnis halten, wenn es _bessere_ Informationen zu dem Thema
> gibt. 

Es gibt einige Beispiele, bei denen das tatsächlich funktioniert.
Und viele, bei denen dies komplett schief geht. Deinen Glauben in
allen Ehren, aber die "Evolution" ist in dem Punkt zu langsam.

Evolution würde bedeuten, dass schlechte Howtos aus dem Netz
verschwinden, wenn sie genügend vielen Leuten Ärger bereitet
haben, oder wenn die Autoren Von Guten Howtos[tm] genügend weite
Verbreitung finden.

Wer zuerst im Netz ist, hat immer einen Vorteil, weil viele andere
auf einen verlinken, weil's nunmal nichts besseres gibt. Eine
ordentliche Doku braucht Zeit, und ist daher nur selten die erste
im Netz. Folglich muss sie sich gegen die erste durchsetzen, aber
wie? Auf obige "Evolution" zu warten erzeugt viel Kollateralschaden.

Man müsste die ersten Verlinkungen davon überzeugen, lieber auf
die bessere Doku zu zeigen - den Aufwand tut sich keiner an. Also
müsste man die ursprüngliche Doku dazu bewegen, auf die neue zu
zeigen. Oder die ursprüngliche Doku müsste unter freier Lizenz in
einem für jedermann offenen Wiki stehen.

> Die Kanalisierung und Kontrolle von Wissen in man-pages erachte
> ich als wichtig, sie taugen aber IMHO nicht als alleinseligmachende Lösung.]

Das nicht, aber viele Howtos im Netz werden einfach unkritisch
befolgt, obwohl sie bestenfalls als roter Faden geeignet sind.

Kritischer Umgang mit Webseiten und Bevorzugung der Original-
Quellen sind heute wichtiger denn je, daher fand ich Peters
Hinweis sehr gut und richtig.

> Schade, dass wir nicht in einer deterministischen Welt leben, aber
> daraus resultiert nunmal, dass es immer ein Un-, bzw. Halbwissen geben
> wird. Überhaupt: Welchen Quellen kann man denn noch Vertrauen schenken?
> Dem Brockhaus? Den Bertelsmann Lexika? Der Microsoft Enzykolopädie? 

JFTR: Das liegt an der Komplexität, nicht am Fehlen des Determinismus.
Gerade die Informatik kann durchaus als deterministisch angesehen werden,
da in der Digitaltechnik nur sehr, sehr selten ein Bit "falsch umkippt".

Zwar gibt es diese physikalischen Effekte trotzdem, aber sie sind
dermaßen selten, dass praktisch alle heutigen Computerprobleme auf
die Komplexität zurückzuführen sind (Bugs, Irrtümer), und nicht auf
das Fehlen von Determinismus.


Gruß,

    Volker

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