[linux-l] [linux-l-announce] Demonstration gegen die Legalisierung von Softwarepatenten

Frank Schubert fs at belug.info
So Sep 21 15:40:40 CEST 2003


        "Softwarepatente schaffen Rechtsunsicherheit"

Am Dienstag dem 23. September 2003 erfolgt im Europaparlament in
Straßburg, die Debatte über die Richtlinie zur Patentierbarkeit von
Software.

In der Woche vom 17. bis 23. September werden deshalb in vielen
europäischen Städten Protestaktionen gegen die Legalisierung von
Softwarepatenten organisiert.

So findet auch in Berlin eine Demonstration statt, und zwar am Montag
dem 22. September 2003 um 13:00 Uhr vor dem Europäischen Patentamt
Berlin, in der Gitschiner Straße 103, in 10969 Berlin. 
(2 Minuten Fußweg vom U-Bahnhof Hallesches Tor)

Worum geht es?

Das Europäische Patentamt (EPA) hat im Widerspruch zum Buchstaben und
Geist des derzeit geltenden Gesetzes zehntausende von Patenten auf 
Programm- und Geschäftslogik erteilt, die wir im folgenden Logikpatente 
oder Softwarepatente nennen.

Die Europäische Kommission (EUK) drängt darauf, diese Patente zu 
Legalisieren und in ganz Europa durchsetzbar zu machen. Dabei missachtet 
sie den deutlichen Willen und die wohlbegründeten Argumente der großen 
Mehrheit von Software-Fachleuten, Software-Firmen, Informatikern und
Wirtschaftswissenschaftlern.

Die Europäische Kommission gründet ihren Vorschlag offenbar auf einen
Entwurf der Business Software Alliance (BSA), einer amerikanischen 
Organisation, die von wenigen großen Herstellern, insbesondere von
IBM und Microsoft, dominiert wird.

Softwarepatente konkurrieren mit dem Software-Urheberrecht und führen
eher zu einer Enteignung von Software-Autoren als zu einem Schutz für 
deren Investitionen. Unter zahlreichen einschlägigen 
wirtschaftswissenschaftlichen Studien gibt es keine, die behauptet, 
Softwarepatente würden positives zur Produktivität, Innovation oder 
Wissensverbreitung beitragen oder in sonstiger Weise der 
Volkswirtschaft zu Gute kommen.

Die Patentierbarkeit von Programmlogik, wie von der EUK/BSA 
vorgeschlagen, führt ferner zu allerlei Ungereimtheiten innerhalb des 
Patentsystems und untergräbt zentrale Annahmen, auf denen dieses System 
beruht.

Im Ergebnis wird dann prinzipiell alles patentierbar, und es kann weder 
für den Softwareautor, noch dem Softwarenutzer, weiterhin 
Jahrzehntelang eine entsprechende Rechtssicherheit wie sie zur Zeit 
existiert, vor Abmahnungen und Lizensierungsforderungen durch ansonsten 
völlig unbeteiligte Dritte geben.

Die Institutionen des europäischen Patentamts unterliegen keiner
wirksamen demokratischen Kontrolle. Die Trennung zwischen der 
gesetzgebenden und der rechtsprechenden Gewalt ist unzureichend. 
Insbesondere das Europäische Patentamt hat sich offenbar zu einer 
Brutstätte missbräuchlicher und gesetzeswidriger Praktiken entwickelt.

Unter dem Deckmantel der "Harmonisierung der europäischen
Rechtsprechung" soll eine geplante Richtlinie die breite
Patentierbarkeit von Software erlauben. "Harmonisierung" bedeutet
tatsächlich, dass das Gesetz der bisher illegalen Vergabepraxis
angepasst wird, ohne Garantie, dass sich das europäische Patentamt 
dann an die neu festgelegten Grenzen hält.

Kritiker fordern deshalb, dass eine Richtlinie die existierenden
Vorgaben der Europäischen Patentübereinkunft (EPÜ) bekräftigen und
präzisieren muss, anstatt sie außer Kraft zu setzen. 

Dabei muss unbedingt darauf geachtet werden, dass die Regelungen dem
Allgemeinwohl und den Zielen der europäischen Wirtschaft und Politik
dienlich sind. Dies sollte von einem Ausschuss überprüft werden, der
nicht dominiert sein darf von Patentanwälten und anderen Berufsgruppen,
die aus dem Patentwesen ihren Lebensunterhalt bestreiten. Auch sollte
anhand von praktischen Beispielen überprüft werden, dass keine
ungewünschte Auslegung des Gesetzes möglich ist, die dem Geist des
Europäischen Parlaments widerspricht.

Des weiteren muss eine Möglichkeit geschaffen werden, das europäische
Patentamt wirksam zu verpflichten, sich tatsächlich an die Vorschriften
zu halten.

Seitdem vor über drei Jahren erstmals die Pläne der europäischen
Kommission bekannt wurden, hat sich anhaltender Widerstand gezeigt,
in letzter Zeit zunehmend erfolgreich. So hat die
EuroLinux-Allianz, ein Zusammenschluss verschiedener Verbände zur
Förderung von freiem Wettbewerb, offenen Standards, Informationsfreiheit  
und freier Software, sehr bald eine Petition gegen
Softwarepatente gestartet. Diese ist mittlerweile von über 260000
Menschen unterzeichnet worden; fast die Hälfte davon ist in den letzten 
Wochen hinzugekommen.

Insbesondere hat sich der deutsche FFII (Förderverein für eine Freie
Informationelle Infrastruktur) dabei hervorgetan, der Aktuelles und  
Hintergründe zu den vorrangig von Großkonzern-Patentanwälten und
Patentbehörden initiierten und vorangetriebenen Gesetzgebungsprozessen
dokumentiert, öffentlich macht, zu Diskussionen anregt, Abgeordnete
berät und öffentliche Protestaktionen organisiert.

Seit letzten Mittwoch läuft eine Aktionswoche mit Demonstrationen in
vielen europäischen Großstädten. Den Auftakt machte eine Pressekonferenz
in Brüssel. Am Freitag gab es kleinere Demonstrationen in Wien und
München; am Samstag in Düsseldorf. Montag folgen Berlin und Stuttgart.
Und zum Abschluss gibt es eine größere Demonstration vor dem
Europaparlamet in Straßburg. Begleitet werden diese Aktionen von
Online-Demonstrationen im Internet, an denen sich tausende von Webseiten
beteiligen.

Ein Thema, was vor Kurzem nur wenige Computerspezialisten beschäftigt
hat, kommt in die Medien. Viele Gruppen werden für das Thema
sensibilisiert, und entdecken die Brisanz darin. Insbesondere Forscher
und kleinere Unternehmen sehen sich in ihrer Existenz bedroht.

Der Berliner Spezialist für Multimediasoftware MAGIX bringt genau das
zum Ausdruck was die Gegner von Softwarepatenten seit Jahren predigen:
Die Richtlinie zeigt die "unverhohlene Interessenpolitik von
Patentanwälten und anderen Vertretern des Patentwesens"; eine
"juristisch fragwürdige und gesamtwirtschaftlich schädliche Veränderung
der Gesetzeslage" soll hier durchgesetzt werden.

Immer mehr Unternehmen sprechen sich gegen Softwarepatente aus, zum
Beispiel auch der größte deutsche Internet-Dienstleister 1&1.
Wirtschaftsverbände drücken ebenfalls Sorge um ihre Mitglieder aus. Eine
Allianz von CEA-PME, CEDI und ESBA, drei Wirtschaftsverbände die
insgesamt über zwei Millionen kleine und mittelgroße Betriebe aus ganz
Europa repräsentieren, haben kürzlich gemeinsam eine Erklärung
abgegeben, welche Softwarepatente allgemein und den aktuellen
Richtlinienentwurf speziell scharf kritisiert und ablehnt.

Die Front der Softwarepatent-Kritiker wird immer breiter. Und die Kritik
zeigt Wirkung: Ursprünglich war die Abstimmung schon für den 1.
September geplant; jedoch musste sie verschoben werden, da die
Abgeordneten durch die zunehmenden Proteste auf die Missstände
aufmerksam werden, und an vielen stellen parteiinterne Uneinigkeit
herrscht, wenn nicht sogar die Kritiker in der Mehrheit sind.
Auch in der größten EP-Fraktion, der EVP, haben nun 32 Mitglieder unter 
Leitung der finnischen Abgeordneten Piia-Noora Kauppi eigene 
Änderungsvorschläge entgegen der Parteilinie eingebracht, die eine 
Patentierbarkeit reiner Software verhindern würden.

Die Wahrscheinlichkeit steigt beständig, dass der Richtlinienentwurf die
nötige Mehrheit nicht bekommt und nochmal überarbeitet werden muss.
In der Zwischenzeit wird mit jedem Tag die Opposition stärker.

http://noepatents.org/
http://swpat.ffii.org/

Gruß

fs

PS:
Den allgemeinen Text dieser Mail ist auch auf 
http://www.belug.info/~fs/gegen_softwarepatente.txt
abgelegt.

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