[linux-l] EU-Parlament beerdigt Softwarepatentrichtlinie

Frank Schubert frank at schubert.in-berlin.de
Mi Jul 6 13:33:37 CEST 2005


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EU-Parlament beerdigt Softwarepatentrichtlinie

Mit überwältigender Mehrheit haben die EU-Abgeordneten nach der kontroversen
Debatte am gestrigen Dienstag nunmehr am heutigen Mittwochmittag in ihrer
Plenarsitzung in Straßburg dem Vorschlag des EU-Rates für eine Richtlinie zur
Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" abgelehnt. 648 von 680
abgegebenen Stimmen votierten für einen entsprechenden Antrag, der von mehreren
Fraktionen unterstützt worden war. Nur 14 Parlamentarier stimmten gegen die
vorzeitige Beerdigung der Richtlinie, 18 enthielten sich. Insgesamt gingen 680
der 732 Abgeordneten zur Wahl, was für die Bedeutung des früheren Randthemas
der Wirtschaftspolitik spricht.

Berichterstatter Michel Rocard hatte im Vorfeld der Abstimmung von der
"gemeinsamen Wut" der Parlamentarier "gegen die unmögliche Vorgehensweise der
Kommission und des Rates" gewettert. Es sein ein "totaler Sarkasmus uns
gegenüber", dass beide Institutionen die Empfehlungen der Abgeordneten aus 1.
Lesung komplett missachtet hätten. Die Abweisung ist für ihn ein Signal, dass
das Problem der Softwarepatentierung noch nicht "reif" ist. Er sieht darin auch
eine Botschaft an das Europäische Patentamt, seine Regeln auf diesem Gebiet zu
überdenken.

Die EU-Kommission will nun prüfen, ob sie einen weiteren Vorschlag für eine
EU-Richtlinie macht -- sollte sie dies, wie im Vorfeld eigentlich bereits
angekündigt, nicht tun, wäre die Patent-Richtlinie endgültig gescheitert, da es
dann kein Vermittlungsverfahren und keine weitere Beratungen im Parlament gibt.
Von einigen Seiten war bereits zu hören, nun wäre ein ganz neuer, grundlegender
Anlauf für ein europaweites, einheitliches Patentsystem ntowendig.

Florian Müller, der für Firmen wie 1&1, MySQL oder Materna vergangene Woche noch
einmal in den Lobbykampf eingriff, zeigt sich zufrieden mit dem Ergebnis: "Es
wäre schwer gewesen, die vom Bundesgerichtshof vorgegebenen engen Grenzen der
Patentierbarkeit von Software EU-weit durchzusetzen", weiß er. Mit der
Zurückweisung, die einen "Albtraum" und die Verbreitung falscher Informationen
über die angebliche Verhinderung von Softwarepatenten durch die Richtlinie
beende, werde zumindest eine Verschlechterung des rechtlichen Rahmens
verhindert. Skeptischer zeigt sich Axel Metzger vom Institut für Rechtsfragen
der Freien und Open Source Software: Das Scheitern der Richtlinie sei zwar ein
Sieg für die Demokratie in Europa. Es belege "die Macht des Europäischen
Parlaments und der öffentlichen Meinung." In der Sache spricht Metzger aber von
einem PyrrHussieg: "Die Patentämter und Gerichte der Mitgliedstaaten sind nun
weiterhin frei, ihren Kurs der vorsichtigen, aber steten Ausweitung der
Patentierbarkeit fortzusetzen."

Einig sind sich die Softwarepatentgegner, dass die weite Patentierungspraxis des
Europäischen Patentamtes (EPA) nun dringend auf den Prüfstand muss. "Das EPA
muss sofort dazu aufgefordert werden, auf Basis des Europäischen
Patentübereinkommens die Vergabe von Softwarepatenten zu stoppen", fordert
Georg Greve, Präsident der Free Software Foundation Europe. Die Grundlinien des
internationalen Vertrags sehen vor, dass auf Software "als solche" keine
Monopolansprüche gewährt werden dürfen. Das EPA hat diese Regel sehr offen
interpretiert und bereits geschätzte 30.000 Patente auf "computerimplementierte
Erfindungen" erteilt. Darunter sind sehr allgemeine Verfahren wie das Ablegen
von Artikeln in einen virtuellen Warenkorb oder das Zahlen mit Kreditkarte in
einem Webshop, über deren "technischen Charakter" und Innovationskraft sich
trefflich streiten lässt.

"Das Schalten und Walten des Europäischen Patentamtes ohne übergeordnete
Kontrolle muss beendet werden", bläst Johannes Sommer, Mitgründer der
Initiative Unternehmer gegen Softwarepatente ins gleiche Horn. Ein Dorn im Auge
ist ihm auch die Ankündigung der EVP-Schattenberichterstatterin Piia-Noora
Kauppi, kleine und mittlere Unternehmen (KMU) im Patentwettlauf der Großen
besser stellen zu wollen. "Das wäre unsinnig", befindet Sommer und fragt sich,
"wann die Leute endlich verstehen, dass KMU überhaupt keine Patente für
Softwarelösungen wollen." Andernfalls müssten Entwickler Verwertungsrechte in
Form von Lizenzen erwerben, die sie momentan durch das Urheberrecht bei
Eigenentwicklungen automatisch besitzen.

Auch Hartmut Pilch, Vorstand des Fördervereins für Freie Informationelle
Infrastruktur (FFII) will nun "auf der nationalen Ebene weiter den Druck auf
das Europäische Patentamt verstärken." Die von der Behörde verursachten
Probleme "arbeiten für uns", gibt sich der Softwarepatentgegner optimistisch.
Die "wirtschaftliche Mehrheit" , die laut FFII keine breite Monopolansprüche
auf Computerprogramm will, werde sich immer weiter "ihrer Kraft bewusst
werden", während die "Patentbeamten bald nicht mehr Herren des Verfahrens"
seien. In diesem Stadium werde die Zeit für eine erneute Einigung auf der
europäischen Ebene reif sein.

Die Parlamentarier reagierten mit dem Ziehen der Notbremse auch auf eine
"Lobbyfehde ohne Beispiel", die der heutigen Entscheidung voranging, wie der
CSU-Abgeordnete Joachim Wuermeling sagt. Befürworter und Gegner der Ratsversion
hatten sich in den vergangenen drei Monaten eine teilweise unter die Gürtellinie
und mit gezinkten Karten spielende Kampagne geliefert. Beide Seiten hatten mit
dem Verlust von Millionen von Arbeitsplätzen und dem Aus für die innovative
Hightech-Wirtschaft Europas argumentiert -- die einen aus der Perspektive der
patentfreudigen Großindustrie, die anderen aus der Sichtweise des auf das
Urheberrecht als Schutz von Programmcode setzenden Mittelstands.

Die Lobbyschlacht dauerte bis zur gestrigen Debatte im Rahmen der 2. Lesung
unvermindert an: Früh wurden die Abgeordneten beim Betreten des
Parlamentsgebäudes bereits von heftig gestikulierenden Demonstranten aus dem
FFII-Umfeld in gelben T-Shirts und der Aufschrift "Power to the Parliament --
No Softwarepatents" begrüßt. Die Campaign for Creativity, die mit ihrer
intransparenten Unterstützerschar für breite Softwarepatente die Aufmerksamkeit
von Lobby-Watchdogs auf sich zog, hatte dagegen eine kleine Jacht mit dem Plakat
"Stimmen Sie für die Richtlinie: Patente = Europäische Innovation" unter dem
Flussübergang postiert, der die Sitzungs- und Arbeitsgebäude des Parlaments
verbindet. Rasch mieteten die FFII-Anhänger daraufhin eine Reihe Kajaks, auf
denen sie Transparente mit dem Motto "Softwarepatente töten die Innovation"
neben dem Motorboot zur Schau stellten. Nicht alle Abgeordneten goutierten die
Aktion: der CDU-Abgeordnete Werner Langen bezeichnete sie als
"Erpressungsversuch" und beschimpfte Softwarepatentgegner als "Handlanger"
asiatischer und amerikanischer Wirtschaftsinteressen. Zu den stärksten
Befürwortern der Ratslinie hatten aber Konzerne wie die Business Software
Alliance (BSA) gehört, die US-Größen wie IBM, Intel oder Microsoft vertritt und
seit längerem beim Schutz "geistigen Eigentums" an einem Import des
US-amerikanischen Rechtssystems in der EU arbeitet.



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