[linux-l] Halb-OT: Linux und die moderne "IT-Gesellschaft"

Volker Grabsch vog at notjusthosting.com
So Nov 26 09:52:11 CET 2006


On Sun, Nov 26, 2006 at 05:05:28AM +0100, Norman Steinbach wrote:
> PS: Um nicht ganz ins OT abzurutschen noch eine kleine Denk-Anregung:
> Wie verhält es sich mit der Sprache der "IT-Bewanderten"? Hier gibt es
> ja ebenfalls eine Menge Worte, die nicht jeder versteht.

Du solltest mehr Beispiele nennen. Was für Wort meinst du, außer
"Verzeichnis/Ordner"?

In erster Linie: Ja, das sind Fachbegriffe. Jedoch ist es gerade in
der IT-Landschaft sehr extrem verbreitet, dass mehr oder weniger
erfundene "Fachbegriffe" von großen Firmen geprägt werden, als Teil
ihrer Marketing-Strategie.

Dann kommen wir aber in Richtung Marketing-Gelaber, das ein
Außerstehender ironischerweise eher für "Fachbegriffe" halten wird als
die "echten Fachbegriffe". Klar, schließlich entstehen diese Begriffe
ja dadurch, dass die Marketing-Abteilung die (leider technisch nicht so
bewanderten) Manager anderer Firmen ansprechen will.

Aber vielleicht meinst du auch Akronyme wie "WTF", "AFAIK", "CU", "YMMD"?
Auch diese Begriffe waren früher den IT-Bewanderten vorbehalten, werden
aber heutzutage von jedem aktiven Chatter bzw. Computerspieler beherrscht.

Dann gibt's noch die "leet-Language", auch "1337" genannt. Dort werden
Buchstaben durch ähnlich aussehende Buchstaben ersetzt. (O->0, E->3, ...)
Es gab mal eine Zeit, in der das kreativ war, und wirklich nur von
entsprechend bewanderten Leuten verwendet wurde. Mittlerweile ist es
aber alt und abgelatscht, und lebt in der Szene nicht "nicht so
bewanderten" Nachahmer. Also Chatter / Computerspieler / Wannabie-"Hacker",
die ihre Freunde beeindrucken wollen.

Man erkennt gewisse Muster wieder, die es nicht nur im IT-Bereich gibt:
Wenn jemand ein Vorbild oder ein Idol hat, oder eine bestimmte Fähigkeit
("hacken", "Filme drehen", ...) besonders cool findet, dann ahmt er das
nach. Das ist natürlich etwas sehr Positives. Aber gerade Jugendliche
verfallen dabei leicht in die Falle, die falschen Dinge nachzuahmen.
Natürlich ist es leichter, oberflächliches Zeug wie Sprache, Macken,
etc. nachzuahmen. Die wahren Dinge, das Fachwissen, die Leidenschaft der
Tätigkeit, etc., die man ursprünglich bewundert hat, bleiben dabei manchmal
auf der Strecke.

Heutzutage grenzen sich *wirklich* gute IT-Fachleute eher durch einfache,
verständliche Sprache und klare Gedankengänge ab, und durch fachliche
Korrektheit. Das wirkt natürlich nicht mehr so spektakulär, und ist für
einen Außenstehenden nicht erkennbar. Selbst für andere gute Fachleute
sind diese Fähigkeiten erst erkennbar, wenn sie mit einer Person gemeinsam
an irgendeinem Projekt arbeiten.

> oder handelt es sich
> dabei, vor allem in Zeiten der Massenverfügbarkeit digitaler
> Kommunikations- und Informationsmedien ebenfalls um eine Art der
> elitären Abgrenzung gegenüber unwissenden oder sogenannten "DAU"s?

Nein, das glaube ich eher nicht.

Aus eigener Erfahrung kann ich berichten, dass ich zwar oftmals nicht
verstanden werde, aber das nur "ausversehen". Normalerweise bin ich
bemüht, mich verständlich auszudrücken.

Aber zu oft gehe ich ausversehen zu sehr ins Detail. Oder ich vergesse,
das "Gesamt-Bild" vorher zu vermitteln. Das sind aber eher rhetorische
Fähigkeiten, um die es geht. Dass man dabei zu viele Fachbegriffe
verwendet, ist nur ein Symptom, nicht die Ursache. Die Ursache liegt
darin, dass man vergisst oder nicht gewillt ist, sich in die Lage des
Gegenübers zu versetzen, während man sich mit ihm unterhält.

Sich zu kompliziert auszudrücken, ist in meinen Augen kein Zeichen für
technisches Können, sondern ein weit verbreiteter Anfänger-Fehler.

Das ist wie bei der Programmierung: Unnötig komplizierten Code kann
jeder produzieren. Aber für einfache und elegante Lösungen, dafür
braucht es Können und Erfahrung. Das Leichte am Programmieren ist das
produzieren von Code. Das Schwierige am Programmieren ist das Reduzieren
von Code. Genauso ist es mit Erklärungen, Vorträgen und Dokumentationen.

> Wie sieht es mit der IT-Fachsprache zwischen den Betriebssystemen aus?
> Verzeichnisse z.B heißen in der Windows-Welt inzwischen vollständig
> Ordner, und wenn man jemandem der Win erst seit W2k oder gar XP kennt,
> mit Verzeichnissen kommt, schaut der einen auch an wie der
> sprichwörtliche Ochse vorm Berg....

"Verzeichnis" stammt vom englischen Fachbegriff "Directory", der schon
im Englischen nicht besonders gut gewählt war. Im Englischen hätte man
das schon damals "Repository" oder "Folder" nennen können, was mittlerweile
auch passiert. Auch unter Linux wird, wenn es allgemeinverständlich sein
soll, lieber vom "Ordner" als vom "Verzeichnis" gesprochen, auch wenn es
dort natürlich keine konsequente Umbenennung geben kann.

Aber das sind doch nur stilistische Details. Die Sprache entwickelt sich
weiter. Viele Worte werden direkt aus dem Englischen genommen. Immerhin
besser als naiv/schlecht übersetzte Worte. Wenn später irgendwem eine
bessere Übertragung ins Deutsche einfällt, dann setzt sich diese mit der
Zeit auch durch.


Viele Grüße,

    Volker

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Volker Grabsch
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