[pkl] Isolation von Kontexturen im wissenschfatlichen Prozess - Gedankenansätze (mit Fragendem Unterton im Hinterkopf)

walter-kothe at t-online.de walter-kothe at t-online.de
Di Feb 19 05:27:45 CET 2013


Bemerkenswert ist Günthers Aussage in der Apokalypse Amerikas zu den
verschiedenen Grenzserien. Die kausale Serie sei durch die magische zu
erweitern. Dazu gehöre dann auch eine andere Art von Technik. So ist
es. 

	Wenn das jemanden interessiert, dann bitte um Nachricht. 

	Grüße 

	Walter  

	  Von: oliver <oliver at first.in-berlin.de>
 An: PKL-Mailinglist <pkl at mlists.in-berlin.de>
 Betreff: [pkl] Isolation von Kontexturen im wissenschfatlichen
Prozess - Gedankenansätze (mit Fragendem Unterton  im Hinterkopf)
 Datum: Wed, 23 Jan 2013 02:31:56 +0100

 Hallo,

 seit einer Weile geht mir folgende Thematik durch den Kopf:

 Heinz von Foerster formulierte mit
 "Objectivity is a subject's delusion that observing can be done
without them."

 eines der Grundprobleme der Wissenschaft.

 Und letztlich war dieses Thema ja die Grundthematik der Kybernetik
zweiter Ordnung
 (2nd order Cybernetics).

 In der Kybernetik zweiter Ordnung (die Kybernetik der Kybernetik)
wurde der
 Beobachter (aka Subjekt) als wichtiges Element des
Forschungsprozesses identifiziert.

 Im Gegensatz zum klassischen wissenschaftlichen Herangehen, wo der
Beobachter,
 also das Subjekt / das Subjektive aus dem wissenschaftlichen Prozess
mithilfe geeigneter
 Forschungsmethoden au dem "objektiven" Ergebnis entfernt wurde, um so
sicherzustellen,
 daß die gewonnene Erkenntnis universell bzw. über-Subjektiv ist,
geht die Kybernetik
 zweiter Ordnung anders an das Problem heran: das Subjekt wird mit in
die Beschreibung
 der Untersuchung/Forschung hinein genommen, und die eigenen
Grundlagen der Aussage
 des Subjekts (Beobachters) über das Objekt (Untersuchungsgegenstand)
werden mit untersucht.

 So muss also nicht nur eine Aussage des Subjekts über das Objekt
vorgenommen werden,
 sondern die Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchung werden
noch einmal
 daraufhin untersucht, in wie weit die Ergebnisse nicht Aussage über
das Objekt sind,
 sondern Artefakt des benutzen Erkenntnisapparats, der diese
Untersuchung durchführte.

 Mit anderen Worten: der Ansatz, das Subjekt aus der Untersuchung
heraus zu halten,
 um objektive Aussagen treffen zu können wird ersetzt durch den
Ansatz, das Subjekt,
 (das ja unweigerlich immer in der Formuliuerung wissenschaftlicher
Aussagen auftritt,
 auch wenn es sich selbst dabei heraus zu halten versucht) selbst mit
zu untersuchen,
 und so den eigenen Bias zu explizieren.

 Statt Verleugnen des eigenen Bias, der eigenen Perspektive, der
eigenen Subjektivität
 (individuell, kulturell, methodisch ...) wird also versucht, die
eigene Perspektive zu benennen,
 und daher wird - zumindest prinzipiell - den Versuch unternommen,
über den eigenen
 Erkenntnisfilter zu reflektieren.

 Im Sinne einer Störgrößenaufschaltung könnte man sodann den Weg
gehen,
 den eigenen Bias, die perspektivische Verzerrung "herauszurechnen".

 Soweit so gut.

 Der Ansatz ist, so denke ich, erst einmal schon ein Fortschritt.

 Das Problem bei der Kybernetik zweiter Ordnung
(2nd-Order-Cybernetics)
 ist jedoch, daß man das grundlegende Problem nicht erkannt hat.

 Auch bei der 2nd Order Cybernetics (SOC) hat man das Schema
 der antiken griechischen Philosphen übernommen, das die
 Welt in Subjekt und Objekt einteilt.
 Darauf beruht die gesamte westliche Philosophie, darauf beruhen
 Wissenschaft und auch Theologie.

 Hier das Subjekt, das in die Welt schaut, dort das Objekt der
Betrachtung,
 welches in der Welt ist.

 Was kann das Subjekt über die Welt (Objekt) aussagen?

 Das Grundthema der Erkenntnistheorie.

 Dieses duale Grundschema von Subjekt versus Objekt wurde also
 sowohl in der Philosophie, wie auch der klassischen Wissenschaft
vertreten
 und benutzt. Es bildet die gesamte Grundlage.

 Die 2nd order Cybernetics hat zwar den Beobachter (also das Subjekt)
 mit in die eigenen Betrachtungen hinein genommen, es also nicht mehr
ge-/verleugnet.
 Dies war ein wichtiger Schritt.
 Jedoch wurde das grundschema hier das (einzelne) Subjekt, dort das
(einzelne) Objekt
 nicht aufgelöst.
 Das war auch der Grund, wieso die Kybernetik zweiter Ordnung im
Solipsismus endete.

 OK, ok, Heinz von Foerster hat einen Kunstgriff angewendet, um dem
Solipsismus zu entgehen.
 Nachzulesen in "Über das Konstruieren von Wirklichkeiten" (On
Constructing a Reality).

 Dies ist jedoch insofern ein Kunstgriff, als er dem Solipsismus IM
NACHHINEIN
 entkommen will, indem er seine Argumentation - nach dem er bereits
von seinem Ausgangspunkt
 startend, im Solipsismus endete -, aufweitete.

 Er kommt also, von seinem argumentativen Ausgangspunkt startend nicht
am Solipsismus vorbei,
 und schummelt sich um die Konsequenzen seiner eigenen Argumentation
herum.
 Man mag Heinz von Foerster wohlwollend zugute halten, dies sei halt
ein
 argumentativer Weg, erst in eine Richtung zu führen, und dann den
Fokus aufzuweiten,
 um etwas neues einzuführen. Aber ich denke, mit diesm Wohlwollen ist
ihm unrecht getan;
 vielmehr sieht es mir nach Heinz dem Magier aus, der mal eben
Hütchen-spielen geht,
 falls er sich ins Aus gespielt hat.

 Der meines Erachtens sinnvollere Weg wäre gewesen, mehrere Subjekte
(Männer mit Hüten)
 nicht erst im nachhinein herbei zu zaubern, sondern solch einen
Ansatz von vornherein zu wählen.

 Gotthard Günther ist diesen Weg gegangen.
 Und statt Hütchenspielertricks hat man ein solides System von ihm
bekommen.

 Die solipsistische Konsequenz Herangehensweise zeigt sich als eine
 autistischen Rekursion: Das Errechnen der Realitäten im Kreiprozeß
 (bzw. spiraligen Prozessen, oder auch chaotischen Ergebnissen von
Rekursionen).

 Solange man nur auf das Subjekt und das Objekt fokussiert bleibt,
 dreht man sich im Kreise, und aus dem/jedem kreative Zirkel (Varela)
 wird ein Teufelskreis.

 Wissenschaft ist nicht die Leistung nur einzelner; es bedarf also
mindestens
 eines zweite Subjekts. Ohne Sprache keine Wissenschaft, aber ohne ein
zweites
 Subjekt auch keine Sprache. Es bedarf also (real und in der
erkenntnistheoretiscdhen Modellierung)
 mindestens zweier, besser n Subjekte, um Wissenschaft auszuführen
bzw. darzustellen.

 Erst dieses gemeinsame Wirken mehrerer Subjekte im prozess der
wissenschaftlichen Erkenntnis
 kann die Leistung vollbringen, wissenschaftliche Sätze zu
formulieren, die sich dann als wahr
 oder falsch herausstellen.

 So frage ich mich halt seit einiger Zeit: bedarf es nicht der
Polykontexturalen Logik
 Gotthard Günthers, um den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess zu
modellieren.
 Denn schliesslich ist es eine Sache, die klassische Aussagenlogik zu
benutzen
 und wahre/falsche Aussagen zu ermitteln.
 Das ist dann letztlich "nur noch" Anwendung von Logik, und im
Forschungsprozess
 das Abarbeiten von Fragestellungen, durchführen von Messungen.

 Aber es bedarf doch der Subjekte (der wissenschaftlichen Forscher),
 um einen logischen Ort (Kontextur?) so zu definieren (und letztlich
 von seiner Umgebung zu ISOLIEREN), daß dann im Nachhinein nur noch
Boolsche
 Algebra und ein paar ähnliche Ingredenzien benutzt werden brauchen,
 um Ergebnisse wissenschaftlicher Art zu produzieren.

 Um also so "objektive" Ergebnisse zu produzieren, wie sie die
Wissenschaft
 heutzutage hervor bringt, müss allerlei Subjektivität (und
kreativität)
 im Spiel sein, um die Welt (in Form von Messaufbauten / Experimenten)
 lokal so zu gestalten, daß sich solch isolierte Aussagen überhaupt
 formulieren und testen lassen!

 Das heisst: durch die herangehensweise der "objektiven Wissenschaft",
 welche das Subjekt VON VORNHEREIN aus dem Erkenntnisprozess hinweg
 definiert hat, ist das Subjekt (Beobachter) vollkommen unkenntlich
geworden.
 Das Subjekt ist verschwunden - nicht in der Realität, aber aus dem
Blick!

 Der blinde Fleck, von dem Heinz von Foerster sprach, ist hier das
Subjekt.

 Es ist aber nicht weg, nur nicht sichtbar.

 Es ist aber immer mit involviert.

 So kann man in Sionyi's Kulturgeschichte der Physik eine
Erwähnung/Vermutung finden,
 daß es wohl kein Zufall war, das gewisse Asymmetrien in der
Quantenphysik von einem
 Asiaten entdeckt wurden, da diese mit ihrem Ying-Yang einen besseren
Zugang hatten,
 als westliche Forscher mit ihrem symmetrischen und linearen Denken.
 (In der Logik die Umtauschung von WAHR in FALSCH und FALSCH in WAHR,
klassische Negation.)

 Kulturelle Einflüsse in der Forschung hatte ja auch schon P.K.
Feyerabend als Argumente angebracht.
 So sprach P.K. Feyerabend alten Mythologien durchaus eine
Aussagekraft zu,
 sah sie als alternative Weltmodelle als Gleichwertig mit der modernen
Wissenschaft an.

 An dem Punkt mag ich ergänzen: Vorläufer: ja. Mit Sinngehalt: ja.
 Aber nicht gleichwertig, weil heutzutage von der ausdifferenzierteren
und auch formalisierten
 Wissenschaft längst abgehängt (wenngleich man sagen darf: manch
eine Erkenntnis wurde wohl auch leider
 mit entsorgt, die womöglich heute neu einzubringen wäre).

 Heutzutage also nicht mehr adäquat, in damaligen Zeiten aber als
Medthode/Weltbild-der-Zeit
 womöglich up to date.

 Wissenschaft als n-subjekte-Prozess, bei dem Kommunikation und
Multi-perspektivlichkeit
 hilfreich, nein, geradezu notwendig sind, um Erkenntnis voran zu
bringen.

 So war der Ansatz, die Subjekte aus dem Forschungsprozess heraus zu
halten,
 und dies durchgeführt durch die vielen, über viele Länder
verteilten Forscher,
 ein Ansatz, die jeweils persönlichen, kulturellen Einflüsse aus den
 Forschungsergebnissen heraus zu halten.
 Insofern war der Ansatz der klassischen Objektivität der kleinste
gemeinsame Nenner,
 den Wissenschaft brauchte, um allgemeingültig zu sein.

 Man konnte damit "die Welt" (das Objekt / die Objekte / die Objektive
Welt)
 erklären, aber eben nur auf diesem kleinsten gemeinsamen Nenner.

 Wenn es aber darum geht, das Denken / Subjektivität / Denkprozesse
 zu erklären, dann bedeutet dies, den Blick auf das Subjekt zu
richten.

 Gotthared Günther sagt dazu:

 "Der Schein entsteht, wenn ich über das Subjekt rede, denn ich kann
nicht
 anders über das Subjekt reden, als dass ich es als Gegenstand nehme,
das
 heißt, indem es Objekt für mich wird, und damit nicht mehr das ist,
was es
 ist. Das Reden, Urteilen über ein Subjekt verkehrt es in sein
Gegenteil."

 Da aber Wissenschaft selbst ein Prozess ist, der der Subjektivität
bedarf,
 muss Erkenntnistheorie auch die Subjekte mit HINEIN nehmen in die
Un6tersuchung,
 und dies auch, wenn sie die Wissenschaft nicht ausser acht lassen
will, denn
 Wissenschaft ist ein soziales Unterfangen, und Gesellschaft bedarf
der Subjekte.

 So kann dann in den Neurowissenschaften nicht einfach davon
ausgegangen werden,
 daß man Denken / Geist / Denkprozesse / Subjektivität erkennen
kann,
 wenn der Ansatz der ist, diese Subjektivität schon von vornherein
auszuschliessen.

 Hier beisst sich die Katze in den Schwanz.

 Ganz konkret auf den wissenschaftlichen Prozess bezogen habe ich also
die Frage,
 ob man klassische Wissenschaft überhaupt noch guten gewissens
betreiben kann,
 wenn man einmal an der PKL gerochen hat.

 Denn jegliches Schnipselchen "objektiver" Wissenschaftsaussage
 beradf des Subjekts zur Formulierung.
 Da wir mit rekursiven Schleifen der 2nd Order Cybernetics nicht zu
Lösungen kommen,
 sondern uns im Kreis drehen, komme ich zu dem Ergebnis, daß auch
klassische Wissenschaft
 aus Sicht der PKL allmählich mehr in de Licht gesehn werden muß,
 daß sie sich mehr und mehr den alten Mythen annähert, auf die P.K.
Feyerabend bezug nahm.

 Und so darf ich dann sagen: sehr wirksam, hat uns bis zum Mond
gebracht und
 noch weiter, aber blind gegenüber sich selbst und daher in zeiten
von
 Selbstreferenz (über das Denken nachdenken und auch dran herum
forschen) nicht
 mehr adäquat.

 Welche Fragen werden wie gestellt, welche Experimente wie designt,
 damit man auf eine einzelne, isolierte Frage mit WAHR/FALSCH
 antworten kann?

 Soweit dazu.

 Ich hoffe, ich konnte vermitteln, was mir seit einiger Zeit zur PKL
und Wissenschaft
 so durch den Kopf geht.

 Ich hoffe, daß dies auch für andere leser der Liste irgendwie einen
Sinn macht,
 aber selbst wenn nicht, das musste mal gesagt werden ;-)

 Gruß,
 Oliver

 P.S.: Ich habe diese Mail in einem durch formuliert / geschrieben, es
kann also zu Dopplungen
 gekommen sein und das eine oder andere mag womöglich bei einer
Überarbeitung knackiger
 formuliert hätte werden können.
 Aber ich wollte das mal so formulieren und hören, was an Feedback
dazu kommt.
 Eigentlich fällt es mir leichter, in Diskussionen auf den Punkt zu
kommen,
 statt "aus dem Nichts heraus" Aufsätze zu urknallen.
 -- 
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