[pkl] Isolation von Kontexturen im wissenschfatlichen Prozess - Gedankenansätze (mit Fragendem Unterton im Hinterkopf)

Anatol Reibold anatol.reibold at gmail.com
Mi Jan 23 22:52:51 CET 2013


Hallo Oliver!

Herzlichen Dank für Deine sehr interessante Gedanken. Ich erlaube mir
weitere naiv zu spinnen. :-)

Am 23. Januar 2013 02:31 schrieb oliver <oliver at first.in-berlin.de>:

> *Hallo,
> * *
> * *
> seit einer Weile geht mir folgende Thematik durch den Kopf:
> * *
> Heinz von Foerster formulierte mit
>   "Objectivity is a subject's delusion that observing can be done without
> them."
> * *
> eines der Grundprobleme der Wissenschaft.
> * *
> Und letztlich war dieses Thema ja die Grundthematik der Kybernetik zweiter
> Ordnung
> (2nd order Cybernetics).
> * *
> In der Kybernetik zweiter Ordnung (die Kybernetik der Kybernetik) wurde der
> Beobachter (aka Subjekt) als wichtiges Element des Forschungsprozesses
> identifiziert.
> *


Was ich persönlich beim Günther und in der Kybernetik der zweiten Ordnung
fein finde ist die dialektische Betrachtung der Objekt - Subjekt
Möglichkeiten für einen Objekt.

1. Objekt oder Subjekt
2. Objekt-Subjekt-Relationen (möglicherweise mehrstellige)
3. Relationen höherer Ordnung

Ob dies bei den radikalen Konstruktivisten so ist, kann ich nicht sagen.

>
> *Im Gegensatz zum klassischen wissenschaftlichen Herangehen, wo der
> Beobachter, also das Subjekt / das Subjektive aus dem wissenschaftlichen
> Prozess mithilfe geeigneter Forschungsmethoden au dem "objektiven" Ergebnis
> entfernt wurde, um so sicherzustellen, daß die gewonnene Erkenntnis
> universell bzw. über-Subjektiv ist, geht die Kybernetik zweiter Ordnung
> anders an das Problem heran: das Subjekt wird mit in die Beschreibung der
> Untersuchung / Forschung hinein genommen, und die eigenen Grundlagen der
> Aussage des Subjekts (Beobachters) über das Objekt
> (Untersuchungsgegenstand) werden mit untersucht.
>
> So muss also nicht nur eine Aussage des Subjekts über das Objekt
> vorgenommen werden, sondern die Ergebnisse der wissenschaftlichen
> Untersuchung werden noch einmal daraufhin untersucht, in wie weit die
> Ergebnisse nicht Aussage über das Objekt sind, sondern Artefakt des
> benutzen Erkenntnisapparats, der diese Untersuchung durchführte.
>
> Mit anderen Worten: der Ansatz, das Subjekt aus der Untersuchung heraus zu
> halten, um objektive Aussagen treffen zu können wird ersetzt durch den
> Ansatz, das Subjekt, (das ja unweigerlich immer in der Formuliuerung
> wissenschaftlicher Aussagen auftritt, auch wenn es sich selbst dabei heraus
> zu halten versucht) selbst mit zu untersuchen, und so den eigenen Bias zu
> explizieren.*
>

Das stimmt selbstverständlich. Man bedenke ferne auch so etwas wie
Intersubjektivität zu betrachten. Dazu kommt noch, dass es in vielen
empirischen Gebieten das Messen und die Untersuchung von etwas dies
verändern kann. Ich denke vordergründig dabei an die Humanwissenschaten und
an die Pädagogik. Zur Elemtarteilchenphysik möchte ich hier nichts
schreiben. :-)

>
> *Statt Verleugnen des eigenen Bias, der eigenen Perspektive, der eigenen
> Subjektivität (individuell, kulturell, methodisch ...) wird also versucht,
> die eigene Perspektive zu benennen, und daher wird - zumindest prinzipiell
> - den Versuch unternommen, über den eigenen Erkenntnisfilter zu
> reflektieren.*
>

Mich fasziniert hier auch, dass es die Rahmenbedingungen für strukturiertes
und transparentes Reflektieren geschaffen werden können. Eine poetische,
emotionales, rhetorisch bedachtes und schön formuliertes Reflektieren gibt
es schon langem.

>
> *Im Sinne einer Störgrößenaufschaltung könnte man sodann den Weg gehen,
> den eigenen Bias, die perspektivische Verzerrung "herauszurechnen".*
>

Warum nicht? Ich denke auch dabei an die Schwarmintelligenz.

>
> *Soweit so gut.
>
> Der Ansatz ist, so denke ich, erst einmal schon ein Fortschritt.
>
> Das Problem bei der Kybernetik zweiter Ordnung (2nd-Order-Cybernetics)
> ist jedoch, daß man das grundlegende Problem nicht erkannt hat.
>
> Auch bei der 2nd Order Cybernetics (SOC) hat man das Schema der antiken
> griechischen Philosphen übernommen, das die Welt in Subjekt und Objekt
> einteilt.
> Darauf beruht die gesamte westliche Philosophie, darauf beruhen
> Wissenschaft und auch Theologie.
>
> Hier das Subjekt, das in die Welt schaut, dort das Objekt der Betrachtung,
> welches in der Welt ist.*
>

So sehe ich auch. Ärgenzend möchte ich darauf hinweisen, dass es absolut
unklar ist was man als Subjekt (wie auch immer der aufgefasst wird)
betrachten kann und womit man Subjekte erkennen kann. Durch die
Entscheidungsfähigkeit, durch die Fähigkeit zum Willen, durch die
Urteilsfähigkeit, durch die Fähigkeit zum autonomen Verhalten ...? Kann man
Gruppen von (subjektiven) Individuen (Betrieb, Organisation, Nation, Land
...) als ein Subjekt betrachten? Kann man z.B. Tiere und Gruppen von Tieren
als Subjekt betrachten? Kann man eine Maschine, einen Roboter oder ein PC
unter Umständen als Subjekt ansehen? Kann man die Ideen, die Strukturen und
die Gedanken subjektivieren? Man kann doch über "Verortung" der Gedanken
sprechen? Diese Fragen stelle ich mir immer und wieder, besonders wenn ich
über theologischen Fragen nachdenke.


> *Was kann das Subjekt über die Welt (Objekt) aussagen?
>
> Das Grundthema der Erkenntnistheorie.
>
> Dieses duale Grundschema von Subjekt versus Objekt wurde also
> sowohl in der Philosophie, wie auch der klassischen Wissenschaft vertreten
> und benutzt. Es bildet die gesamte Grundlage.
>
> Die 2nd order Cybernetics hat zwar den Beobachter (also das Subjekt)
> mit in die eigenen Betrachtungen hinein genommen, es also nicht mehr
> ge-/verleugnet.
> Dies war ein wichtiger Schritt.
> Jedoch wurde das grundschema hier das (einzelne) Subjekt, dort das
> (einzelne) Objekt nicht aufgelöst.
> Das war auch der Grund, wieso die Kybernetik zweiter Ordnung im
> Solipsismus endete.
>
> OK, ok, Heinz von Foerster hat einen Kunstgriff angewendet, um dem
> Solipsismus zu entgehen.
> Nachzulesen in "Über das Konstruieren von Wirklichkeiten" (On Constructing
> a Reality).
>
> Dies ist jedoch insofern ein Kunstgriff, als er dem Solipsismus IM
> NACHHINEIN
> entkommen will, indem er seine Argumentation - nach dem er bereits von
> seinem Ausgangspunkt startend, im Solipsismus endete -, aufweitete.*
>
> *Er kommt also, von seinem argumentativen Ausgangspunkt startend nicht am
> Solipsismus vorbei,  und schummelt sich um die Konsequenzen seiner eigenen
> Argumentation herum.
> Man mag Heinz von Foerster wohlwollend zugute halten, dies sei halt ein
> argumentativer Weg, erst in eine Richtung zu führen, und dann den Fokus
> aufzuweiten, um etwas neues einzuführen. Aber ich denke, mit diesm
> Wohlwollen ist ihm unrecht getan; vielmehr sieht es mir nach Heinz dem
> Magier aus, der mal eben Hütchen-spielen geht, falls er sich ins Aus
> gespielt hat.*
>
> Den Eindruck habe ich auch. Das ist der Grund weshalb mich der Radikale
Konstruktivismus kalt lässt. Solipsismus das ist eine treffende
Bezeichnung. !!!


> *Der meines Erachtens sinnvollere Weg wäre gewesen, mehrere Subjekte
> (Männer mit Hüten) nicht erst im nachhinein herbei zu zaubern, sondern
> solch einen Ansatz von vornherein zu wählen.
>
> Gotthard Günther ist diesen Weg gegangen.
> Und statt Hütchenspielertricks hat man ein solides System von ihm bekommen.
>
> Die solipsistische Konsequenz Herangehensweise zeigt sich als eine
> autistischen Rekursion: Das Errechnen der Realitäten im Kreiprozeß
> (bzw. spiraligen Prozessen, oder auch chaotischen Ergebnissen von
> Rekursionen).
>
> Solange man nur auf das Subjekt und das Objekt fokussiert bleibt,
> dreht man sich im Kreise, und aus dem/jedem kreative Zirkel (Varela)
> wird ein Teufelskreis.
> *
>
> *Wissenschaft ist nicht die Leistung nur einzelner; es bedarf also
> mindestens
> eines zweite Subjekts. Ohne Sprache keine Wissenschaft, aber ohne ein
> zweites
> Subjekt auch keine Sprache. Es bedarf also (real und in der
> erkenntnistheoretiscdhen Modellierung) mindestens zweier, besser n
> Subjekte, um Wissenschaft auszuführen bzw. darzustellen.*
>
> Ich würde sagen mindestens dreier! Wie wird es geschrieben "Vom Dialog
zum Polylog"! :-) Es muss ein Subjekt sein, der Relationen (oder
Interaktion) unterschiedlichen Subjekten reflektiert.


> *Erst dieses gemeinsame Wirken mehrerer Subjekte im prozess der
> wissenschaftlichen Erkenntnis  kann die Leistung vollbringen,
> wissenschaftliche Sätze zu formulieren, die sich dann als wahr oder falsch
> herausstellen.*
>
> Ich würde noch modale Operatoren und die Möglichkeit "Eine Aussage ist
wahrer als andere" zufügen.

Über Rest Deines Briefes muss ich noch genauer nachdenken. Ich kann nur in
Vorraus sagen, dass für mich besondere Hoffnungen in Richtung Asien nicht
nachvollziehbar sind. Das jedoch später.

Beste Grüße nach Berlin,
Anatol
-------------- nächster Teil --------------
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