[linux-l] OT mir ist schlecht, siehe Link

Peter Ross Peter.Ross at alumni.tu-berlin.de
Do Aug 30 13:04:37 CEST 2007


Hi Thorsten,

On Thu, 30 Aug 2007, Thorsten Stöcker wrote:

> Am Donnerstag, 30. August 2007 08:09 schrieb Peter Ross:
> 
> > Ich bin ja auch in der DDR aufgewachsen und zur Schule gegangen.
> > Auslaenderfeindlichkeit und Gewalt waren nicht Teil meiner Erziehung.
> >
> > Ganz so simpel laesst sich das vielleicht doch nicht erklaeren.
> >
> 
> Hier ist und war es auch nicht Teil der Erziehung, wenn ich mir allerdings 
> angucke wie in der Ex-DDR mit den Vietnamesen umgegangen wird, von meiner 
> Generation, dann weiß ich Bescheid.

Das ist doch eine Feststellung und keine Erklaerung, warum.

DDR->Auslaenderfeindlichkeit ist eine Ursachen-Folgenverkettung, die nicht 
offensichtlich ist, auch wenn es immer wieder wiederholt wird.

Ich habe, wie jeder andere damals juengere DDR-Buerger, eine Erziehung 
gehabt, die nicht auslaenderfeindlich war (im Gegensatz zur Erziehung 
waehrend der Nazizeit).

Auch war DDR-Erziehung nicht gewaltverherrlichend.

Meine Nichten waren gerade in der Schule, als die Mauer runterkam, und sie 
berichten nicht unbedingt von Autoritaetshoerigkeit, eher von 
Autoritaetsverlust. Die Erwachsenen, die Lehrer, die bis gestern noch alle 
vom Marxismus-Leninismus erzaehlt hatten, standen ploetzlich nackt da. Die 
meisten redeten ploetzlich genau das Gegenteil. Die waren bei den Kindern 
komplett unten durch. Auf wen konnte man sich noch verlassen?

Und aus dem Westen kam als schmierige Bande der Versicherungsvertreter in 
brombeerfarbenen Anzuegen. Auch nicht gerade vertrauenserweckend..

Es ist ein ploetzlicher Werteverfall, eine Desillusionierung, wie ihn 
Deutschland schon einmal erlebt hat, nach 1945. Das Wirtschaftswunder hat 
das am besten uebertuenchen koennen, ein Aufbruch, der viel Arbeit nach 
sich zog.

Diese Arbeit als Beschaeftigungstherapie, zur Ablenkung, waehrend der 
Neuorientierung, ist in Ostdeutschland ausgeblieben. Der Wohlstand zog 
ein, unbestritten, aber ohne Eigenbeteiligung.

> > Sicher, nur sind die Tuerken (die gibt es hier mehr im Norden der Stadt)
> > hier sicher nicht so anders. Sie kamen zur gleichen Zeit, haben den
> > gleichen kulturellen Hintergrund.. und sind hier integriert.
> >
> 
> Nun, ich würde nicht behaupten, das die Türken den gleichen kulturellen 
> Hintergrund haben.

Ich meinte die Tuerken in Melbourne und die in Berlin. Sie kamen hier auch 
in den 60ern als billige Arbeitskraefte. Deren Integration ist besser 
gelungen, wuerde ich aus eigener Anschauung sagen.

> > Zum Beispiel gib es hier keine Kopftuchhysterie. Oder halbe
> > Volksaufstaende wegen eines Kreuzes an der Schulwand. Kein
> > "Hardcoresekularismus", sondern Religionsfreiheit.
> 
> Religionsfreiheit? Sehr interessante Theorie, mit Symbolen an der Wand. Das 
> ist nicht Religionsfreiheit.

Die Kreuze gehoeren hier auch nicht in die Schule (so lange es keine 
katholische ist).
 
> > Der chinesische Tempel unweit meines Hauses
> > (http://www.chia.chinesemuseum.com.au/biogs/CH00027b.htm) steht hier seit
> > 1856.
> >
> 
> Ja, und weiter? Religionsfreiheit wie in den USA? Nein, ganz sicher nicht. 
> Religionsfreiheit bedeutet auch, das man sich gegen jede Religion entscheiden 
> kann, aber wie?

Australien hat kultur-(und religions-)historisch einen ganz anderen 
Hintergrund als die USA.

Die US-amerikanischen Urvaeter besiedelten die Neue Welt zu einer Zeit, 
die von tiefen Religionskaempfen (Stichwort Reformation) gepraegt war, 
Australien wurde lange nach der englischen buergerlichen Revolution, im 
Zeitalter der Aufklaerung von Europaern besiedelt.

Das hat einen wesentlich gelasseneren Umgang mit der Religion zur Folge.

> Religion ist Opium fürs Volk. Besser wäre Weltanschauung ist 
> Opium fürs Volk.

Es gibt nur eine Wahrheit;-) Religionsfreiheit heisst nicht Entscheidung 
gegen Religion, sondern die Moeglichkeit, religioes gebunden zu sein und 
seine Religion ausueben zu koennen. Das hat auch was mit Toleranz zu tun..

Und da schliesst sich fuer mich der Kreis. Andersartigkeit zu akzeptieren 
ist des Deutschen Staerke nicht.

Meine hier lebende Bekannte aus Koeln, mit einem dunkelhaeutigen Kind, der 
Vater stammt aus Ghana, ist erleichtert, dass ihr Kind endlich mal zur 
Schule gehen kann und lachen und spielen, ohne dass immer wieder irgendein 
dummer Spruch ("Gib den Ball ab, Bimbo!") dazwischenkommt und ihn 
verletzt.

Das ist taeglich erlebte Lebensqualitaet, die eine tolerante Gesellschaft 
ermoeglicht.

Desweiteren kann eine Gesellschaft, die gelassen ist, auch besser mit 
ihren Wurzeln umgehen, die auch religioeser Natur sind. Ganz sicher zeigt 
Dir das jeder Gang durch die Stadt, vorbei an den Kirchen, in die Museen, 
ins Theater.. ohne Kenntnis des Christentums beraubst Du Dich selbst der 
Augen, um das zu sehen und zu verstehen.

Desweiteren ist unsere Kultur religios gepraegt, sie ist Teil unseres 
Erbes und wir koennen unsere Verhaltensweisen gar nicht losgeloest davon 
betrachten.

> Die Kultur der 
> Aboriginals, über die ich zugegeben wenig weiß, dürfte erheblichen Schaden 
> davon getragen haben und ich glaube nicht, das irgendwer die Aboriginals 
> gefragt hat, ob sie das möchten. 

Sicherlich nicht. Es gibt eine australische Bewegung, die reconcilation 
heisst. Aber das allein hilft Dir recht wenig, heutige Probleme zu loesen. 
Das ist wesentlich schwieriger und es gibt keine einfachen Methoden. Auch 
guter Wille allein ist da nicht viel wert. Aber es ist ein Anfang.

Einen vergleichbaren Kulturgegensatz gibt es tatsaechlich nur in anderen 
Gegenden der Neuen Welt, der Kontinent kann da wirklich nicht viel helfen.

> :-), ja und die Rütli-Schule und was sonst noch so aufgeblasen wird. Das 
> lenkt aber vom eigentlichen Thema ab. Nämlich das in vielerlei Hinsicht 
> vergessen wurde gegenzusteuern, rechtzeitig. Die Probleme waren bekannt. 
> Die Aushilfslehrerin in Köln ist ein schönes Beispiel, wie man nun 
> Flickschusterei betreibt, um die Versäumnisse der 80ger und 90ger zu 
> beheben.

Und wie heisst denn heute die Loesung?

Wenn ich ein Problem loesen will, faengt das sicher mit einer 
Problembeschreibung an. Und da gehoert die Ruetli-Schule dazu.

> > Ja sicher, die Eltern. Aber warum passiert das nicht in Melbourne? Die
> > Menschen sind die Gleichen!
> >
> 
> Woher willst Du wissen, das es nicht in Melbourn passiert? Nur weil es nicht 
> berichtete wird?

Es wird ueber Probleme berichtet, ganz gewiss. Nur sind die in Melbourne 
nicht so derartig krass wie in manchen deutschen Grossstaedten..

Nirgendwo sonst in der entwickelten westlichen Welt wird wie in 
Deutschland ein Drittel der Kinder schon fruehzeitig abgeschrieben, in 
einem schulischen Verwahrungssystem. Deutschland ist Spitzenreiter in 
sozialer Segregation des Bildungswesens!

Es ist erstaunlich, dass das selbst das zu einem nicht geringen Teil 
private Schulsystems Melbournes (ca. 1/3 der Schueler ab Klasse 7 gehen in 
eine Privatschule) das nicht geschafft hat, auch wenn das staatliche 
Schulsystem in den letzten Jahren erheblich gelitten hat.

> Wo denn? Lösungsansätze anderer Länder und Kulturen sind nur bedingt 
> tauglich, eher untauglich.

Es ist schon merkwuerdig, dass man es ueber Jahrzehnte nicht schafft, 
Probleme mit "Eigenmitteln" zu loesen, aber das andere abgeschaute 
Methoden nicht helfen, weiss man doch ziemlich bestimmt.

Gruss
Peter


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